Vor allem die deutschen Juden werden mit einzigartiger Systematik und atemberaubender Präzision zu rechtlosen Parias herabgewürdigt. (S.212)
Diese Formulierung aus dem ersten Absatz des Kapitels über das Jahr 1933 ist ein gutes Beispiel für den Stil von Andreas Heusler – er kann die Dinge auf den Punkt bringen. In seiner Biografie über Lion Feuchtwanger folgt er dem Leben des Autors von der Jugend bis zu seinem Tod in Amerika, doch beschränkt er sich nicht auf dieses Leben allein. Besonders im ersten Teil, in dem es um Lion Feuchtwangers Leben in München geht, macht sich die profunde Kenntnis des Autors zur Münchner Stadtgeschichte bemerkbar. Er schildert nicht nur das Leben der Familie Feuchtwanger, sondern lässt jede Menge Zeitgenossen und Zeitgenossinnen erscheinen, die mehr oder weniger intensiv mit Lion Feuchtwangers frühem Leben und seiner frühen Autorenschaft verbunden waren. Dabei bettet er das Leben seines Protagonisten in die damaligen Zeitläufte ein. Detailliert lässt er mich als Leserin an der geistigen Buntheit Münchens zur Jahrhundertwende teilhaben – manchmal ein klein bisschen zu detailliert, denn viele der Namen, die er nennt, kann ich nicht wirklich einordnen.
Lion Feuchtwanger stammt aus einer orthodox jüdischen Familien, von der er sich zwar emanzipierte, doch war er sich sein Leben lang bewusst, woher er stammte und was er war. Sein Jüdisch–Sein hat sein Werk immer beeinflusst, nicht nur bei dem Roman „Jud Süß“.
Worauf Andreas Heusler besonderen Wert legt, ist die Tatsache, dass er den Aussagen Marta Feuchtwangers kritisch gegenübersteht. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes für viele Biografen die Deutungshoheit über das Leben des Autors Lion Feuchtwanger. Andreas Heusler gleicht Aussagen Martas mit denen von Menschen ab, die dabei gewesen sind. Dabei wird deutlich, dass sich die Aussagen unterscheiden. Andreas Heusler schließt daraus nicht, dass Marta das Leben ihres Mannes verfälscht habe, sondern weist auf die Möglichkeit von Gedächtnislücken und schlichtem Nicht–Erinnern hin – sowohl bei ihr als auch bei den anderen. Wie zu erwarten, gehören zum Kreis derer, die Lion und Marta Feuchtwanger kannten eine Menge bekannter Namen, wie Bertholt Brecht, Arnold Zweig, die Manns usw.
Ähnlich wie Andreas Heusler bringe auch ich das Thema Sex erst gegen Ende 😉 . Dabei bedient sich der Autor dieser Biografie eines schlichten Tricks: Immer wieder verweist er in Nebensätzen auf Affären und sexuelle Abenteuer Lion Feuchtwangers. Doch erst nach zwei Dritteln des Buches entfaltet er das Thema. Er schildert, auch im Rückgriff, Nebenbeziehungen Feuchtwangers und lässt uns mit gewohnt spitzer Feder auch die Mühen solcher ungewöhnlichen Lebensumstände spüren:
Die denkwürdige Ménage-à-trois nötigt Lion immer wieder zu organisatorischen Höchstleistungen, um alle Termine, Verpflichtungen und Sexualkontakte zu harmonisieren. Denn neben der emotionalen Energie, die für Marta und Eva aufzubringen ist, und den sexuellen Ressourcen, die für eine Reihe von amourösen Abenteuern erforderlich sind, gibt es ja auch noch diverse literarische Projekte (…). (S. 234)
Sie sehen, ich habe am Stil von Andreas Heusler viel Vergnügen und kann Ihnen aus diesem Grunde seine Biografie empfehlen.
Andreas Heusler: Lion Feuchtwanger. Münchner – Emigrant – Weltbürger, Residenz Verlag, St. Pölten, 2015, ISBN: 9783701744602 .
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