Lil Bob von Ruth Frobeen

Lil Bob von Ruth Frobeen

Natürlich war mir schon bei den ersten Andeutungen von Ruth Frobeen auf Twitter zu ihrem neuen Baby „Bob“ klar: Bob ist ein Mädchen.

Stimmt sogar.

Dabei ist Bob ein Teil des Nachnamens von Melina Lily Bobinsky.

In „Lil Bob“ erzählt sie ihre Geschichte.

Was erzählt Ruth Frobeen?

Lily verliebt sich im zarten Alter von vier Jahren in ein Cello. Nicht in ein bestimmtes, sondern in das Instrument als solches. Der Freund ihres Onkels unterrichtet sie dann.

Wie Ruth Frobeen die ersten Erfahrungen Lilys mit Musik schildert, ist so konkret und poetisch zugleich – deshalb schon an dieser Stelle ein erstes Zitat; Lily ist bei einer Orchesterprobe dabei und legt sich auf den Boden, um die Musik durch sich hindurchströmen zu lassen:

In mir wisperte, rauschte, brauste, gluckste, brummte es. Die Klänge dehnten sich in mir aus, rollten hin und her und liefen in jede Faser meines Körpers, wo sie mich kitzelten.

S. 37

Auf der einen Seite geht es um die Entwicklung eines musikalisch sehr begabten Menschen – wie eine Vollblutmusikerin Musik erleben kann, wurde für mich hier nachvollziehtbar. Und zwar in den unterschiedlichen Lebensphasen. Schließlich begleitet das Buch Lily bis in ihr Erwachsenenleben.

Daneben steht die Familiengeschichte der Bobinskys:

  • Lilys Eltern Helena und Steve: Helena ist drogenabhänngig, Steve jüngstes Mitglied der Wild Flower Society.
  • Muma Polly – Steves Mutter Polina Bobinsky hilft ihrem Sohn, die Tochter zu versorgen.
  • Onkel Paul – Steves Bruder, von Beruf Dirigent, lebt in Hamburg
  • Ian – Pauls Freund, Cellist, unterrichtet Lily seit sie vier ist.

Nach Mumas Tod reist sie mit Paul nach Hamburg – aus einem Besuch wird eine Dauereinrichtung. Lily bleibt in Hamburg.

Sie lebt mit den beiden Männern, Paul und Ian, macht Musik, geht mit Ian in Konzerte und Opern (mit vier oder  fünf Jahren) und lernt erst spät andere Kinder kennen.

Zwei unterschiedliche große Celli
Natürlich hat die kleine Lily mit einem kleinen Cello angefangen … Just plain Bill (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Full_size_and_fractional_cello.jpg), „Full size and fractional cello“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

In der Schule erweist sie sich als Überfliegerin – überspringt mehrere Klassen. Doch das wichtigste ist die Musik, ihr Cello.

Ian will sie nicht auf Wettbewerbe schicken, doch Paul arrangiert heimlich, dass sie an einem teilnimmt, den sie prompt gewinnt. Sie lernt die Komponistin Fanny kennen, eine über 70jährige Frau, die ein Cellokonzert geschrieben hat, das Lily aufführen soll – für die Menschen, die als Kinder aus Nazi-Deutschland nach England geschickt wurde, um zu überleben. Denn Fanny hat nach dem Tod ihres Mannes ihre Tochter Ilse auch mitgeschickt. Es gibt keinen Kontakt zwischen ihnen. Lily nimmt die Geschichte sehr mit.

Im Internat schließt sie enge Freundschaft mit  Theda, einer Pianistin.

Nach Abschluss der Schule bekommt sie Jobs im Studio, um Filmmusiken mit einzuspielen. Außerdem spielt sie gern auf Beerdigungen . So lernt sie John kennen.

Liebe und Enttäuschung, Freundschaft und Trauer – alles erlebt Lily intensiv. Ihre Emotionen drückt sie in Musik aus. Mit ihrem Cello zwischen den Beinen ist sie nie sprachlos.

Es gibt ein paar sehr hübsche Schleifen in Lilys Geschichte. Und einen Mord.

Und meine Antwort auf ihre Frage am Ende „Hatte Fanny  es die ganze Zeit gewusst?“ (S. 287) lautet: „Nein!“ 😉

Wie erzählt Ruth Frobeen?

Nun, zauberhaft, wie sie eben so schreibt. Gleich am Anfang gab es so eine Stelle, als es um Steve und Helena ging, die Beziehung mit einer drogenabhängigen geliebten Frau:

Wie oft hatte er gebettelt, gefleht, hatte er Helena angeschrien und sie auf Händen getragen. Seine Samthandschuhe hatten Löcher bekommen. Er konnte nicht mehr.

S. 10

Es braucht nicht mehr als diesen zweiten Satz, um die ganze Tragik einzufangen.

Für die Schilderungen der Musikerlebnisse von Lily habe ich ja schon ein Beispiel gebracht.

Der fragende Blick des Polizisten verhakte sich in meinen Augen.

S. 252

Mehr muss nicht gesagt werden, um die Anspannung der Situation zu verdeutlichen, oder?

Einen Haken hat die Geschichte für mich gehabt

Ich brauchte zwei Anläufe, um in die Geschichte reinzukommen, denn ich hatte ein Problem mit dem Anfang. Ich bin selber völlig durchschnittlich – nicht besonders begabt, nicht besonders sensibel usw. Ruth Frobeen lässt hier ein Kind von zwei und vier oder fünf Jahren aus seinem Leben erzählen – das passte für mich nicht. Differenziert und detailliert. Es gibt da kleine Brüche zwischen dem Erleben eines Kindes, das Ruth Frobeen einfängt und den anderen Aussagen, die zu dem Erleben eines so kleinen Kindes in meinen Augen nicht passen. Rein sprachlich. Das Erleben spreche ich niemanden ab – aber die sprachliche Differenzierung sehe ich bei einem Kindergartenkind so nicht. Gerade auch, wenn es Sätze gibt, die genau (meinem!) Verständnis von kindgemäßem Ausdruck entsprechen.

Je älter Lily wird, desto weniger Diskrepanzen habe ich da gespürt.

Und es bleibt eine wunderbare Geschichte über die Kraft der Musik, über die Freude des Musizierens, die Notwendigkeit dieser Quelle für Emotionen aller Art.

Rut Frobeen: Lil Bob, Selbstverlag, Hamburg, 2021, ISBN: 9783981940046.

Werbung

Sie können das Buch per ISBN in jeder Buchhandlung bestellen – das könnte dann etwas dauern. Sie können das Buch auch direkt bei Ruth Frobeen bestellen.

Das ist jetzt Werbung, da die Autorin natürlich Geld verdienen will. Ich habe das Buch selbst gekauft und erhalte für die Verlinkung keine Vorzüge. In der Rezension finden Sie meine Meinung – mir ist nichts vorgegeben worden.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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