Schon der erste Roman von Isabel Bogdan hat mir Freude bereitet – es war „Der Pfau“. Mit „Laufen“ hat Isabel Bogdan ein völlig anderes Terrain beschritten. Oder soll ich sagen „durchlaufen“?
Was erzählt Isabel Bogdan?
Es ist ein innerer Monolog, ein innerer Monolog über eine lange Zeit. Eine Frau läuft. Und denkt „Ich kann nicht mehr“ und noch vieles andere. Sie hat gerade erst mit dem Laufen begonnen, nach einer langen Pause. Und nun läuft sie, läuft und versucht, ihren Gedanken davonzulaufen. Doch die laufen mit, in kurzen, kleinen Fetzen schwirren die unterschiedlichsten Empfindungen, Erinnerungen, Rückblicke durch ihren Kopf. Erst langsam, im Laufe der ersten Seiten erfahre ich, was diese Frau umtreibt. Ihr Partner ist tot. Schon seit einem Jahr. Und sie versucht, im Leben neu Fuß zu fassen.
Isabel Bogdan lässt die namenlose Frau immer weiter laufen. Ich begegne ihr nur, wenn sie läuft und erschließe aus ihrem mehr oder weniger kurzen Gedankenfetzen ihre Geschichte. Denn ihr Partner ist nicht einfach tot. Er hat sich das Leben genommen. Der Verlust bekommt dadurch eine besondere Bitterkeit, sie macht sich Vorwürfe. Hätte sie ihn nicht retten können oder sollen oder müssen?
Erst ist das Laufen mühsam, alles tut weh, sie zwingt sich, immer neue kurze Etappenziele anzuvisieren Sie folgt der Regel, doppelt so viele Schritte auszuatmen wie sie einatmet. Immer wieder taucht das „ein ein aus aus aus aus“ im Text auf. Sie läuft weiter, sie läuft länger. Dann läuft sie 10 km bei einem Event mit. Im letzten Drittel des Buches heißt es dann „ein-at-men aus-at-men aus-at-men“. Alles verändert sich. Nicht nur das Laufen.
Während ihre Freundinnen und Freunde und deren Familie und auch neue Bekannte einen Namen im Text haben, bleibt die Erzählerin namenlos. Das letzte Wort des Romans ist der Name ihres verstorbenen Partners: Johann.
Klingt nach einem traurigen Buch? Jein. Es ist ein berührendes Buch zu einem bewegenden Thema. Und es hat auch seine komischen Seiten. Isabel Bogdan schafft eine beeindruckende Balance, um diese Zerrissenheit der Zurückgebliebenen spürbar zu machen.
Wie erzählt Isabel Bogdan?
Im Rhythmus des Laufens. Das Buch beginnt:
Ich kann nicht mehr. Das ist natürlich Quatsch, ich bin gerade erst losgelaufen, aber schon an der Ampel glaube ich, ich kann nicht mehr, nach nicht mal hundert Metern. Meine Beine sind wie Sandsäcke, bin ich wirklich jemals länger gelaufen?
S. 5
Was für ein Glück, dass ich kein Blasinstrument spiele oder Sängerin bin, das könnte ich gar nicht, mit diesem zugeschnürten Hals, wie machen es eigentlich Bläser, von Imke weiß ich, dass sie nicht auf Beerdigungen spielen kann, weil sie immer mitweinen muss und die Oboe nicht mehr unter Kontrolle hat. Der Bratsche macht es nichts, da hört man den Kloß im Hals nicht, und ein kleines bisschen kann man sich im Orchester verstecken. Ein ein aus aus aus aus, langsamer, ich breche gleich zusammen.
S. 15
Je länger sie läuft, desto komplexer werden die Sätze, in denen sie denkt. Es sind nachher nicht mehr nur atemlose Aneinanderreihungen von Gedankenfetzen, auch wenn der Charakter ein bisschen erhalten bleibt:
Manchmal hatte ich sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich aus Versehen unter der Dusche gesungen habe, das ist wirklich grotesk, wieso soll ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn mein Herz endlich wieder warm und weich wird?
S. 178
Es ist ein feines kleines Buch, das Isabel Bogdan geschrieben hat. Ein schwieriges Thema mit der dazu gehörigen Wut und Trauer und wieder aufsteigenden Lebenslust überzeugend behandelt.
Isabel Bogdan: Laufen, Kiepenheuer und Witsch, Köln, 2019, ISBN:9783462053494
In der Stadtbibliothek Köln gibt es das Hörbuch und das Buch.
Bisher gibt es noch keine Kommentare