La Fenice von Lea Singer

La Fenice von Lea Singer

Ja, Lea Singer hat einen historischen Roman geschrieben. Und was für einen. Aber das merkte ich am Anfang gar nicht. Ihre Heldin blickt jemandem nach, der weggeht. Und beschreibt das so plastisch, dass ich den Mann vor mir sehe:

Auffallend langsam ging er, nicht schleppend, nicht wie jemand, der erschöpft ist, enttäuscht oder traurig. Geduckt, ohne die Knie durchzudrücken, schlich er mit großen Schritten und rollte bei jedem Schritt den Fuß von der Ferse bis zum Ballen ab, als wollte er das geringste Geräusch vermeiden. Sein Nacken, ein kräftiger Nacken für einen Mann Anfang zwanzig, der nicht arbeitete, wirkte angespannt, auch sein Rücken. Er ging wie jemand, der sich anpirscht aus dem Hinterhalt, alle Sinne auf ein einziges Ziel gerichtet und darauf bedacht, dass keiner vorzeitig wittert, was er vorhat. Lächerlich sah das aus auf dem nackten Platz, als hätte sich einer, der nicht bei Verstand war, aus dem Röhricht auf Rebhuhnjagd in die Stadt verirrt.

S. 7

Der zarte Hinweis „Rebhuhnjagd“ deutet ein historisches Ambiente an. Ansonsten spricht die junge Frau klar und direkt. Eine moderne Frau?

Was erzählt Lea Singer?

Die Geschichte einer jungen Frau – und die erzählt sie selber. Sie ist wirklich noch sehr jung. „Mit überreifen dreiundzwanzig“ schreibt sie (S. 19). Und hat doch schon viel erlebt und gesehen. Denn sie ist die teuerste Kurtisane Vernedigs. Mit 16 Jahren hat sie diesen Beruf ergriffen.

Sie berichtet von ihren Eltern – dem Vater, der zu ehrenhaft war, um Karriere zu machen, der Mutter, die immer wieder sagt, die wunderschöne Tochter sei dem Vater wie „aus dem Gesicht gerissen“; dabei war der Vater doch äußerst unscheinbar. Nun ja – die Mutter hatte in einem vornehmen Haushalt gedient …

Ihre Schönheit ist ihr Kapital. Aretino, ein Dichter, Satiriker und eine große Persönlichkeit der Zeit, protegiert sie.

Neben Aretino gibt es noch Fedele – eine alte gelehrte Frau, die dem Mädchen Angelo del Moro Lesen und Schreiben beibringt und jede Menge historisches und politisches Wissen.

So ausgerüstet, schickt Lea Singer ihre Heldin los. Selbstbewusst und zielstrebig macht sie sich daran, Reichtum zu erwerben. Doch ihre Ablehnung des Freiers auf Seite 7 hat Folgen.

Warum hab ich diese Bilder ausgewählt?

Zur Illustration des Beitrags hab ich drei Bilder von Tizian ausgewählt, für die ihm die Hauptfigur von Lea Singer Modell saß. Denn „La Zaffettta“ gab es wirklich. Die Umstände in Venedig hat die Autorin sorgfältig recherchiert; im Nachwort gibt sie an, welche Änderungen (v. a. bei Daten) sie vorgenommen hat. Anhand der Bilder können Sie sich selber ein Bild von der Schönheit Angelas machen.

Tizian, La Bella
Tizian, Venus
Tizian, Mädchen mit Pelz

Gerade wenn es um Kunst und Politik geht, ist sie sehr interessiert. Die Protektion von Aretino, der sich auf satirische Weise mit verschiedenen Zeitgenossen anlegt und das Wissen, das die alte Fedele ihr vermittelt, helfen ihr dabei, sich in dem heiklen Gewerbe zurechtzufinden und wirklich mitreden zu können. Diese Einblicke in Alltag und Kultur des Venedig im Cinquecento sind ein großes Plus dieses Romans.

Wie schreibt Lea Singer?

Im Großen und Ganzen sehr modern. Sie bemüht keine antiquarisch angehauchten Vokabeln. So schildert sie Fedele:

Die alte Fedele sah Venedig anders als die übrigen Venezianer, weil sie es jahrelang von Kreta aus betrachtet hatte – gehörte zwar zum Staat Venedig, hatte aber nichts damit gemeinsam. Auf dem Rückweg von der Insel hatten sie und ihr Mann, ein Arzt, ihren gesamten Besitz durch einen Schiffsunfall ans Meer verloren, die gewonnenen Einsichten aber waren nicht mit abgesoffen.

S. 24

Und sehr bildkräftig – das konnten Sie ja schon beim ersten Zitat sehen. Danach kommt noch ein Satz, der mich sofort faszinierte:

Als ich mich umwandte und in den Schatten des Zimmers trat, legte sich das Nein beruhigend auf meinen Unterleib, verschaffte mir Luft, ließ meinen Hals in die Länge wachsen und hob mein Kinn, als wollte es meinen Kopf in eine andere Position bringen.

S. 8

Ich habe diesen Roman verschlungen. Wer sich für gut recherchierte hsitorsche Stoffe interessiert, ist bei Lea Singer gut aufgehoben. Zumindest für diesen Roman von ihr kann ich das sagen.

Lea Singer: La Fenice, Kampa Verlag, Zürich, 2020, ISBN: 978 3 311 10027 0

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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