Krieg von Ian Morris

Krieg von Ian Morris

Das Buch von Ian Morris trägt einen provokanten Untertitel: „Wozu er gut ist“ – der Krieg nämlich. Gerade zur Zeit ein unpassender Gedanke beim Blick auf Syrien, Irak, Sudan und  – für uns näher dran – den Ostteil der Ukraine, nicht wahr?

Was Ian Morris nun in seinem Buch macht, ist schon faszinierend: Er schreibet einerseits eine Geschichte des Kriegs – von der Antike bis heute. Dabei springt er aber – andererseits – in den Jahrhunderten munter vor und zurück, um einzelne Aspekte zu belegen.

Grundannahme seines Buches ist, dass der Anteil der Menschen, die in einer Gesellschaft gewaltsam – durch Krieg oder Verbrechen – zu Tode kommen, ein Indiz dafür sei, was der Krieg an Nutzen bringe: Nach einem Krieg konsoldiert sich demnach eine Gesellschaft oder ein Staat und bringt den Überlebenden und ihren Nachfahren mehr Sicherheit und Wohlstand. Je größer ein solcher Staat oder eine Gesellschaft, desto geringer ist der Anteil der gewaltsam zu Tode gekommenen Mitglieder. Bezugsgröße: auf 1000 Mitglieder der Gesellschaft.  Ian Morris zieht dazu die Geschichte und Theorien der Anthropologie heran. Zwei Grundthesen stehen sich hier gegenüber:

  • Der Mensch ist im Urzustand böse und gewalttätig und kann nur durch eine übergeordnete starke Instanz (Leviathan) gezähmt werden
  • Der Mensch im Urzustand ist friedlich – Gewalt kommt von außen herein; bei den Naturvölkern ist der Kontakt mit der westlichen Zivislisation der Ursprung für Gewalt.

Leviathan livre
Frontispiz des Buches „Leviathan“ von Thomas Hobbes.
Die erste These vertrat zuerst Thomas Hobbes, die zweite sehr vehement Jean-Jacques Rousseau. Das Bild des Leviathan kommt bei Ian Morris immer wieder vor. Insgesamt bringt Ian Morrs sehr viele Belege dafür, dass die These Hobbes‘ eher zutrifft; er schildert anthropologische Studien und deren Schwierigkeiten. Spannend wird es da nämlich, wenn die früher Befragten Jahrzehnte später Auskunft darüber geben, dass sie die Anthropologen belogen hatten.

Ein weiterer Nutzen des Kriegs liegt in der technischen Entwicklung – viele Erfindungen, die unseren Alltag erleichtern, stammen ursprünglich aus der Entwicklung von Waffen und Gegenwaffen.

Ian Morris schreibt ziemlich mitreißend – sachkundig, mit einer Prise Humor und Selbstironie. Das macht die Lektüre angenehm.

Erster Weltkrieg

Mich hat natürlich die Darstellung des ersten Weltkriegs besonders interessiert. Im Großen und Ganzen entspricht seine knappe Schilderung des Verlaufs dem, was ich aus den vielen anderen Büchern zum  Thema kenne. Besonderer Schwerpunkt ist für Ian Morris, der selber Brite ist, die Rolle Großbritanniens. England habe mit seiner frühen Industrialisierung und seinem großen Kolonialreich und dem damit verbundenen Wohlstand über lange Zeit eine führende und regelnde Rolle inne gehabt – quasi als Weltpolizei. Mit zunehmender Industrialiserung anderer Staaten gegen Ende des 19. Jahrhunderts – besonders in Deutschland und Japan – wurde diese Rolle imme schwieriger und England ging dazu über, für seine Aufgaben Verbündete zu suchen. Dass nach Ende des ersten Weltkriegs eben nicht das Ende aller Kriege erreicht war, lag laut Ian Morris daran, dass es an einem wirklich starken Weltpolizisten mangelte, der die frühere  Rolle Englands übernehmen konnte.

Er spricht von einem „Krieg um Europa 1914 bis in die 1980er Jahre“ – sein Blick auf Kriege und ihre Auswirkungen entspricht keineswegs dem Schulbuchwissen. In den USA sieht er einen Nachfolger für das England des 19. Jahrhunderts. Ian Morris geht davon aus, dass der Krieg sich im Laufe der Zeit geändert habe; er spricht von produktiven und kontraproduktiven Kriegen. Der Lohn der Aggression – also das Motiv  für Krieg – habe sich verändert. Wenn Aggression nicht mehr lohnt – und Ian Morris sieht uns auf gutem Weg dorthin -, dann ist ist Krieg obsolet. Letztlich endet das Buch sehr optimistisch.

Insgesamt ein interessantes, gut lesbares Buch mit faszinierenden Gedanken und neuen Blickwinkeln. Wenn ich Ian Morris auch nicht in allem zustimme, habe ich sein Buch doch mit Gewinn gelesen.

Ian Morris: Krieg. Wozu er gut ist, Übersetzt von Ulrike Bischoff, Susanne Kuhlmann-Krieg und Bernhard Josef, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 2013, ISBN: 9783593397160

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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