Königliche Hoheit von Thomas Mann

Königliche Hoheit von Thomas Mann

Meine letzte Lektüre von „Königliche Hoheit“ liegt Jahrzehnte zurück – und offensichtlich haben sich da ein paar andere Informationen in meine Erinnerungen geschlichen: Ich war völlig verdutzt, wie spät Imma erst auch nur erwähnt wird. Auch in meinem Lieblingsbuch über Thomas Mann spielt der Aspekt vom Verhältnis zwischen Klaus Heinrich und Imma die Hauptrolle bei der Vorstellung und Analyse. Hermann Kurzke schreibt über den autopbiographischen Bezug:

… aber seiner Werbung um Katja (sic!), und dem „strengen Glück“, das sie zum Ergebnis hatte, hat Thomas Mann in in dem Roman Königliche Hoheit (1909) sogleich literarische Gestalt gegeben. Er kommt dort als Prinz Klaus Heinrich, sie als Multimillionärstochter Imma Spoelmann vor.

Kurzke, Hermann: Thomas Mann. Ein Porträt für seine Leser, C. H. Beck, München, 2009, S. 53

Der Schwerpunkt liegt dabei für Hermann Kurzke in der Parallele zwischen Künstler und Prinz – beide abgehoben vom normalen, bürgerlichen Leben.

Dieses Wissen rund um die Entstehung des Romans hat also meine Erinnerung an den Text deutlich getrübt.

Doch was erzählt Thomas Mann nun?

Die Story als solche ist rasch zusammengefasst:
Die Lebensgeschichte eines Prinzen in einem deutschen Kleinstaat zu einer Zeit, da es bereits Autos und Telefon gab, aber noch Kaleschen und Hofzeremoniell. Der junge Prinz wächst auf, ist einsam und muss repräsentieren. Dann sieht er eine energische junge Frau und sucht die Bekanntschaft. Sie ist die Tochter eines schwerreichen Neubürgers in der Residenz – ähnlich separiert aufgewachsen wie er. Die beiden lernen sich kennen. Während seine Gefühle recht früh klar sind, bleibt sie erst mal abwartend – bis es dann passt, auch ihrer Meinung nach. Am Ende steht die Hochzeit.

Märchenhafte Handlung – garniert mit märchenhaften Zutaten:

  • Klaus Heinrich kommt mit einer verküppelten linken Hand zur Welt – und man erinnert sich an die Weissagung einer Zigeunerin, dass „ein Prinz dem Land mit einer Hand mehr geben werde als andere mit zweien“
  • Im Hof des Schlosses steht ein Rosenbusch mit vollendeten Blüten – und Moderduft. Doch einst soll die Zeit kommen, da er duften wird, wie Rosen das zu tun haben
Holzschnitt Illlustration zu einem französischen märchen Prinzessin auf Thron, Prinz davor Katze im Vordergrund - passend zu den in Königliche Hoheit vorgelesnen französischen Märchen
Die Gouvernante liest Klaus Heinrich und Ditlinde französische Märchen vor – sie können sich in deren Geschichten sehr heimisch fühlen

Beide Weissagungen erfüllen sich auf moderne Weise:

  • der Prinz heiratet eine schwerreiche Erbin, deren Vater die Staatsfinanzen saniert
  • der Rosenbusch wird in bessere Umgebung verpflanzt, damit er artgemäß blühen und duften kann

Dieser Roman ist tatsächlich ungewöhnlich heiter für Thomas Mann – ein Lustspiel war sein Ziel. Erreicht, würde ich mal sagen 😉

Doch fehlt es nicht an ernsthaften Aspekten – und die gehen über die Parallele von Prinz und Künstler hinaus.

Politische und weltanschuliche Aspekte in „Königliche Hoheit“

Klaus Heinrich wird in eine prekäre Lage geboren: Das Großherzogtum ist finanziell am Ende. Trotzdem hat sein Vater die Stammburg aufwendig restaurieren lassen. Im Gegensatz zu der großherzoglichen Familie werde ich als Leserin mit den Gründen und Auswirkungen der Misswirtschaft sofort vertraut gemacht.

Für Klaus Heinrich und seine Geschwister – Thronfolger Albrecht und Schwester Ditlinde – sind der karg gedeckte Tisch, die fehlende Heizung im Schloss und die zerfransten Prachtstoffe der Einrichtung „normal“.

Die Erziehung Klaus Heinrichs ist nicht darauf ausgerichtet, an dieser Wahrnehmung etwas zu ändern – Schule, Universität und Militär besucht er nur der Form halber. Wohltätigkeit gehört zu seinen Aufgaben – aber den Grund für ihre Notwendigkeit und die Wirkung sind ihm nicht bekannt oder bewusst. Das wird weder gefordert noch gefördert. Solche Akte durchzuführen gehört zu seiner Aufgabe – der Hintergrund spielt für ihn keine Rolle.

Seine Erziehung zielt auf seine Hoheit – schon das Vorspiel endet mit:

Gekannt und doch fremd bewegt er sich unter den Leuten, geht im Gemenge und gleichsam doch von einer Leere umgeben, geht einsam dahin und trägt auf seinen schmalen Schultern die Last seiner Hoheit,

S. 11

Als er nun als junger Erwachsener die Repräsentationspflichten seines menschenscheuen Bruders, des neuen Großherzogs, übernimmt, ist diese Haltung das einzige, was ihn zusammenhält.

Hier kann man Kritik am wilhelminischen Kaiserreich und seinen Strukturen erkennen.

Klaus Heinrichs verehrter Lehrer Raoul Überbein, der sich in seiner Redeweise ihm gegenüber um dessen Hoheit keinen Deut kümmert, hämmert ihm aber genau diese Vorstellung von Hoheit ein – eine einsame Sache das.

Auch wenn der Erzähler Gründe nennt für den Freitod dieses Pädagogen – für mich liegt eine Ursache offensichtlich darin, dass sich Klaus Heinrich seiner Doktrin nach von der Hoheit, wie er sie versteht, entfernt hat. Ob da nun tatsächlich Nietzsches Gedankengut vom Übermenschen eine Rolle spielt, kann ich nicht beurteilen – dafür kenne ich das Gedankengebäude Nietzsches zu wenig.

Die Erzählhaltung in „Königliche Hoheit“

Ich habe ja schon den Erzähler erwähnt – er weiß alles, erklärt alles und: Er gehört dazu. Immer mal wieder verfällt er ins „uns“ und „wir“. So kommt eine Brechung zustande: Die überwiegend auktoriale Haltung „beißt“ sich etwas mit der des Bürgers des Großherzogtums, die er dann und wann quasi jovial hervorblitzen lässt. Gerade diese Passagen sind sehr ironisch gehalten.

Wie ich schon beim Zauberberg beobachtet habe, gibt es auch in diesem früheren Roman von Thomas Mann die Leitmotive, um Personen zu kennzeichnen – ein paar willkürlich ausgewählte Beispiele:

  • Wenn es um Raoul Überbein geht, dann ist immer von „Strammheit“, „Malheur von Geburt“ und „Wind um die Nasen wehen lassen“ die Rede.
  • Imma Spoelmann hat einen „großen schwarzen Blick, der prüfend, mit glänzend ernster Frage auf ihn gerichtet war.“ (S. 233) – dieses Bild wird ständig variiert
  • Ihre Begleiterin, Gräfin Löwenjoul dagegen verbeugte sich mit „einem Seitenblick ins Ungewisse, der etwas seltsam Lockendes hatte“ (S. 232)
Rose Papa Meilland zu Königlliche Hoheit
Unsere Familienrose Papa Meilland duftet auf das Schönste – auch ohne Märchenumgebung (Foto: H. Baller)

Der Ton ist, allen ernsten Themenbereichen zum Trotz, heiter-ironisch. Thomas Mann nimmt deutlich höfische Formen aufs Korn. und nimmt mich mit in eine Welt der Finanzen von vor mehr als 100 Jahren, Volkswirtschftslehre vom Basalsten – neben der einsamen machenden Hoheit ist das eins der zentralen Themen.

Ach, noch ein Einfall zum Namen von Klaus Heinrich. Sicher sind seine Initialen die von „Königliche Hoheit“ – andererseits aber auch die Namen von Thomas Manns ältestem Sohn Klaus und seinem älteren Bruder Heinrich. „Karl Hermann“ wäre ja auch gegangen …

Ich behaupte nicht, dass ich nun diesen Roman vollständig erschlossen und verstanden habe; ich habe Sie mitgenommen zu meiner „Lektüreerfahrung“ im Jahr 2020 mit diesem Text – und hoffe, Sie hatten Spaß, mir dabei zu folgen.

Thomas Mann: Königliche Hoheit, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main, 2004, ISBN: 9783596904013

Die Stadtbibliothek Köln hält den Roman natürlich auch vor 😉

Ich hab ja gar nicht gedacht, dass ich so rasch was zu meinem Mann-Marathon beitragen kann 😉

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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