Inhalt des Beitrags
Der schmale Band „Idylle mit ertrinkendem Hund“ von Michael Köhlmeier war im Herbst 2013 „Ein Buch für die Stadt“ in Köln. Es gab eine Sonderausgabe (die diesem Beitrag zugrundeliegt!) und eine Woche lang viele unterschiedliche Veranstaltungen: Lesungen, Diskussionen, Vorträge. Mit meiner Vorstellung verschiedener Interpretationszugänge war ich am 14.11.2013 in der Buchhandlung Baudach zu Gast.
Im Anschluss an einzelne Absätze finden Sie Seitenangaben – da können Sie meine Auslassungen auf den Prüfstand bringen.
Thema des Buches
Ehrlich gesagt finde ich das Vorwort, das der Sonderausgabe mitgegeben wurde ein wenig bedauerlich, denn es schränkt den Blick auf die Erzählung von vorherein ein. Ich weiß noch, dass mich der Anfang, der in so ganz andere Richtung zu streben schien, nach diesem Vorwort irritiert hat. Ich habe quasi auf Paula gewartet – da ist mir beim ersten Lesen viel entgangen. Sicher ist der Tod von Paula das Thema des Buches. Aber das erklärt sich aus der Lektüre irgendwann selber, ohne den plakativen Hinweis am Anfang. Finde ich … Der Anfang hat ein ganz anderes Thema (S. 11-13 Mitte)
Hier geht es erst einmal nicht um den Verlust eines geliebten Menschen an den Tod. Hier geht es um Nähe und um Distanz.
Das Ich im Buch schildert minutiös, wie es zum „Du“ zwischen den beiden Männern kam,
die ausschließlich beruflich miteinander zu tun hatten – bis dahin. Und wie es zum Besuch des Lektors beim Autor kam. Beide drechseln ihre Sätze, um zwar das „Du“ unterzubringen, aber den Vornamen zu vermeiden. (S. 16 Mitte -S. 18 Mitte)
Die Veränderung in einer etablierten Beziehung (acht Jahre kannten sie sich – klingelts da bei Ihnen auch? Kästner …) nimmt breiten Raum ein. Auch im anschließenden Gespräch mit Monika, die die Sache leichter nimmt. Für sie ist hier Freundschaft zu spüren. (S. 20-24, Ende 1. Absatz) Das Ich flüchtet in seinen Gedanken wieder in die berufliche Praxis der letzten Jahre – die imaginierte Wortanalyse von „preisgeben“ durch Dr. Johannes Beer zeigt auf, welche Gefühle für den Erzähler relevant sind.
Freundschaft, Nähe, Distanz – das sind die ersten Themen, die mich in diesem Buch bewegen; und das hängt nachher auf jeden Fall mit dem Tod von Paula zusammen. In dem imaginierten Gespräch des Ichs mit Johannes wird deutlich, wie der Erzähler sich eine – beruflich begründete – Freundschaft vorstellt. Was er erwartet. Und nicht bekommt: (S. 83 Mitte – S. 89). Das unerwartete Du in der etabliebterten Berufsbeziehung löst im Erzähler Wünsche, fast schon Sehnsüchte aus.
Dabei ist das mit der Nähe – aufgrund von Paulas Tod – sowieso ein Thema: Der Erzähler und Monika haben so ihre Rituale von Alleinsein und gemeinsam sein, von Einsamkeit und Trotzdem-zueinander-Stehen entwickelt – sie stecken noch voll in der Trauerarbeit. Der Erzähler schildert genau, wie das mit den Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten so läuft – da ist Abhängigkeit zu spüren. Die Depressionen werden explizit erwähnt. Der nächtliche Kakao. Und dann die Sache mit den Spaziergängen (S. 74-76 oben).
Johannes Beers Wandlung
Hier nun kommt wieder Johannes ins Spiel – er bekommt einen Spazierweg „geliehen“, da er den täglichen Marsch braucht. Und da passiert dann etwas, was sich in der Waldszene schon andeutete: Eine Änderung.
Ach ja, die Dschungelszene … Monika hat einen Urwald, einen Dschungel im Wintergarten. Michael Köhlmeier beschreibt ihn. S. 28-30. Das ist ein Satz ! Gut, an der Stelle einiger Semikolons hätte man auch Punkte setzen können. Hat er aber nicht – er schildert den Dschungel nicht nur, er bildet ihn in Worten, in der Satzstruktur ab – das aber nur am Rande.
Spannend ist, was mit Dr. Johannes Beer passiert, nachdem er diesen Dschungel gesehen hat, nachdem ihn Monika sogar hineingeführt hat: Sein sonst nüchternes Verhalten ändert sich. Er ist begeistert, ja, er beginnt zu singen und zu tanzen und zu trommeln. Hier kommt der Märchenfachmann – Michael Köhlmeier erzählt nicht nur klassische Sagen, sondern auch Märchen, live und im Radio – durch: Im Märchen ist der Wald der Ort der Wandlung, der Verwandlung. Auch der Stärkung übrigens: Wer in den Wald hineingeht, kommt anders und meist stärker wieder heraus. Rotkäppchen, Schneewittchen als Beispiele
Daneben ist in dieser Geschichte der Dschungel, der an warme, tropische Gegenden denken lässt, ein Gegenprogramm zur Eislandschaft des schneereichsten Winters draußen. Die Schneelandschaft mit ihrer Kälte und Ruhe und Lebensfeindlichkeit steht – so denke ich mir das – für die in Trauer erstarrten Eltern von Paula; sie sind gemeinsam einsam.
Zurück zu Johannes Beers Spaziergang. Da geht er nun, wohl versorgt von Monika mit Schinkenbroten und heißem Tee los. Dann kommt die Geschichte mit dem Hund. Johannes erzählt, der Erzähler erzählt – von dem Mann auf der Bank, der dem Hund auch das zweite
Schinkenbrot gibt. Von dem Mann, der eigentlich Hunde nicht mag, sie eigentlich fürchtet. Von dem Mann, der ohne es zu wollen, einen tierischen Begleiter bekommt – für einen Teil der Strecke, seines Wegs.
Wenn Sie ähnlich Harry-Potter-verseucht sind wie ich, haben Sie bei „großer dunkler Hund“ vielleicht auch zuerst an den Grimm aus dem dritten Band von Harry Potter gedacht. Und dann vielleicht an die anderen Hunde, v. a. in der Mythologie, die was Magisches haben, die wir mit dem Tod in Verbindung bringen. Aber dieser Hund hat so gar nichts „Tödliches“ in der Begegnung mit Johannes Beer. Im Gegenteil, er macht einen sehr netten Eindruck. Einen hilfreichen sogar – wenn man die feindliche Haltung des Hundes gegenüber anderen als Verteidigung seines Begleiters Johannes Beer ansieht. Auch in den Märchen gibt es Tiere, die sich unvermutet Menschen anschließen und ihnen helfen. Es gibt auch den Aberglauben, dass ein Hund, der jemandem zuläuft, Glück bringt. Die Göttin Holda z. B. – unsere Frau Holle – sendet in den Rauhnächten – das sind die zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest – ihre Hündin in offenstehende Häuser. Das Tier bringt uns Glück oder Unheil, je nachdem, wie wir es behandeln. Jagen wir es fort, bringt das Unheil …
Was ist nun mit der Veränderung? Ist die Veränderung durch den Dschungel von Dauer? Hat sich Johannes verändert, wenn er nun hingeht und – er, der sonst so kühle zurückhaltende Mann – aller Welt von seiner Hundebegegnung erzählt? Ich finde, das geht aus dem Text nicht so wirklich hervor. Was sich aber definitv verändert, ist die Einschätzung des Erzählers gegenüber Johannes. (S. 68 letzter Absatz bis S. 69).
Alles ist aufgebaut – es kommt zum Showdown. Beim gemeinsamen Spaziergang taucht der Hund wieder auf, reagiert auf den Zuruf von Johannes und bricht im Eis ein. Johannes rettet sich und fragt den Erzähler, was zu tun sei – der Hund müsse doch gerettet werden. Und wer rettet den Hund? Nicht der Mann, den er sich ausgesucht hat. Mit den Worten „Ich kann das nicht.“ macht sich Johannes davon, um Hilfe zu holen. (S. 95-97).
Was ist das für ein Mensch? Erst macht er einen Riesenaufstand um den Hund – nicht erst mit seinem Erzählen, sondern schon vorher – er ist zu ihm über den Zaun geklettert! – und jetzt läuft er fort. „Ich kann das nicht.“ Der Erzähler dagegen, der das Gewässer genau kennt, der bleibt und hilft. Hier, in der großen Dramatik, in der Lebensgefahr, wechselt Köhlmeier die Perspektive – vom Ich zum Er. Minutiös beschreibt er, was das Ich erlebte. (S. 99-107).
Ganz klar, hier sind zwei nah am Tod vorbeigekommen.
Hund und Tod
Hunde sind übrigens tatsächlich schon in sehr früher Zeit mythologisch mit dem Tod verbunden gewesen: Besonders die alten Göttinnen werden oft mit einem Hund gezeigt: die schon erwähnte Holda, aber auch Diana und Hekate. Es handelt sich gerade bei Holda, um eine Göttin mit zwei Gesichtern: Neugeborenen hilft sie durch einen Brunnen auf die Welt (Frau Holle!), sie selber ist aber auch eine Wächterin der Totenwelt. Hier bildet sich der Rhythmus des Lebens ab. Die Hündin als Begleiterin dieser Göttin hat ähnliche Symbolbedeutung. „Der Hund“ ist ja auch eine Hündin …
Der Hund gilt als Seelenführer, als Wächter der Totenwelt. Das „Cave Canem“ bezieht sich auf diese Funktion. In frühchristlichen Kirchen gibt es noch die Darstellung des laufenden Hundes als Zeichen für den Rhythmus von Leben und Tod.
So viel zum Hund.
Der Erzähler und der Hund entkommen dem Tod – weil der Erzähler nicht aufgibt. Obwohl er ja mehrfach daran denkt, wie er wegkommen könnte – unter Zurücklassung seines Mantels usw.
Dass der Hund im Eis eingebrochen ist, ist Folge des Föhns – es ist Tauwetter. Nimmt man, wie eben angeregt, das schneereiche, kalte Wetter als Ausdruck der Trauersituation, bekommt auch das Tauwetter eine Bedeutung: Es hat sich was verändert beim Erzähler, in seiner Trauer, in seinem Umgang mit dem Verlust seiner Tochter, in seinem Verhältnis zu Johannes Beer.
Alle Interpretinnen und Interpreten gehen davon aus, dass die geglückte Rettung des Hundes mit dem Tod der Tochter Paula zu tun hat, die niemand retten konnte (ihre Begleiterin kam bei demselben Unfall mit ein paar Schürfwunden davon!). Beleg dafür ist eine Geschichte, von der der Erzähler berichtet, dass er sie sich ausgedacht habe (S. 86). Wenden wir uns also Paula zu.
Famiile Köhlmeier (?)
Paula Köhlmeier war selber Schriftstellerin. Dem Buch ist ein Satz aus ihren posthum herausgegebenen Texten vorangestellt, der die Situation der verwaisten Eltern Monika und Michael schildert. Ihr Schreiben ist auch Thema – im fiktiven Dialog zwischen Ich und Lektor (S. 85f.) Die Art ihres Schreibens ist das, was sich der Erzähler vorstellen kann – ihr Leben weiterzuschreiben, mit den erwünschten Kindern, mit einem Leben in Mexiko. Das, was Paula erträumt hat, real werden lassen in einer Geschichte. Das ist unser Buch hier ja nicht – Michael Köhlmeier schreibt nicht eine mögliche Geschichte von Paulas Leben, sondern eine Geschichte über seine Trauer nach ihrem Tod. In dem fiktiven Dialog im fiktiven Erlebnisbericht lotet er Optionen für den Umgang mit dem Tod und der Trauer aus. In der Schilderung von Mann und Hund auf dem brechenden Eis geht er bis auf den Grund der Gefühle, lässt ihre bedrohliche Kraft spürbar werden.
Monika im Buch ist Monika Helfer, die Frau von Michael Köhlmeier und selbst Autorin. Sie hat ebenfalls über Paula geschrieben – 2010 – in dem Roman „Bevor ich schlafen kann“. Darin ist Paula ein Kind von 12 Jahren – und erwachsener als ihre Freundin Josi, die sich selbst neu erfindet. Schreiben will auch dieses Kind und macht sich Gedanken darüber, ob es zu früh oder zu spät dafür ist. Josi, die erwachsene Hauptfigur (Paula taucht erst in der zweiten Hälfte auf) sagt an einer Stelle, wie sehr sie Paula liebe – ist das eine Aussage Monikas über ihre Tochter?
Monika blüht in der Geschichte ihres Mannes sichtbar auf – Johannes hat sich ein bisschen in sie verliebt, das verändert sie. Sie hatte ja von Anfang an die Meinung vertreten, dass es sich bei der Annäherung von Johannes‘ Seite um Freundschaft handeln müsse. So ist sie ihm entgegengetreten und so hat er sie behandelt – denken Sie an die Szene mit dem Dschungel. Ihr Herz habe sie damit offen gezeigt, meint Johannes. Hat sie ja auch, denn sonst zeigt sie selten den Gästen den Eingang in den Dschungel – Sie erinnern sich. Johannes berichtet im fiktiven Dialog, Monika habe ihm von Paula erzählt – so eng verbunden sieht der Erzähler seine Frau und seinen Lektor.
Später als seine Frau hat Michael Köhlmeier ein Buch über Paula und ihren Tod geschrieben, über seinen Verlust und was er mit ihm gemacht hat. Über seine Trauer. Und über das Schreiben. Nicht nur der fiktive Dialog mit Johannes ist eine Abhandlung über das Schreiben emotional schwieriger Texte, auch sonst hat der Lektor eine wichtige Funktion. Da haben wir die Sache mit der Nähe und der Distanz, die fast schon väterliche Funktion, die der Erzähler am Anfang in seinem Lektor sieht. Das Motiv von König Lears Narr taucht auf – am Anfang vom fiktiven Dialog als Regieranweisung wie im Theater. Die Funktion eines Narren ist es, ungeschminkt die Wahrheit sagen zu dürfen und keine Strafe dafür befürchten zu müssen. Wenn man sich aber den erwünschten Dialog zwischen dem Autor und seinem Lektor anschaut, unter dem Aspekt „ungeschminkte Wahrheit“, erscheint es doch eher so, als wünsche sich das „Ich“ einen, der ihn versteht und ihm zustimmt. Eher einen verständnisvollen, ja fast schon liebevollen Vater. In der Realität sagt Johannes was ganz anderes – erinnern Sie sich? (S. 89 letzter Absatz- S. 90 erster Absatz). Er sagt die Wahrheit. Er handelt als Narr …
Johannes Beer selbst – er hat sich innerhalb der Handlung anscheinend verändert – angefangen beim versehentlich angebotenen Du, bei der Besuchsankündigung in Hohenems, im Dschungel und in der Geschichte mit dem Hund. Letztlich ist er aber wieder in die Ausgangssituation zurückgeschnippt – distanziert, professionell, kühl. Im Grunde wirkt er wie ein Katalysator: Seine veränderte Haltung zu Anfang setzt die Geschichte in Gang – ist sie zu Ende, ist sie – und damit er – wieder weg.
Wer sich wirklich verändert hat, ist der Erzähler: Seine Einschätzung des Lektors hat sich verändert – das Ist-Gleich-Zeichen, das er sich zu Anfang gewünscht hat, ist auf andere Weise Realität geworden, als er es sich vorstellen konnte: Nicht ist er auf eine Höhe mit seinem als Vaterfigur angesehenen Lektor erhoben worden, sondern dieser ist in den Sphären der Normalsterblichen angekommen. Es ist auch eine Emanzipationsgeschichte. Mit dem vom Lektor Gelernten kann der Erzähler nun das tun, was ihm am Herzen liegt – über Paula schreiben, seine Trauer schildern. Und zwar direkter, persönlicher als er es sich in dem fiktiven Dialog überlegt hatte. Er ist bei sich angekommen, bei seiner Trauer, bei seinem Schmerz – das ist jetzt das Thema. Verwischen sich hier die Grenzen zwischen Autor und Erzähler? Wer weiß …
Michael Köhlmeier: Idylle mit etrinkendem Hund, Deuticke Verlag, Wien, Sonderausgabe 2013, ISBN: 9783552062382
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