Inhalt des Beitrags
Den Hashtag #IchBinHanna habe ich eine Zeitlang auf Twitter verfolgt und war entsetzt, welche Geschichten ich da über die Arbeitsverhältnisse an Hochschulen zu lesen bekam.
Die Initiator*innen der Aktion – Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon – haben nun alles in einem Buch zusammengepackt:
- die Ausgangssituation mit dem Wissenschaftszeitvertraggesetz – was für’n Wortungetüm!
- die daraus resultierenden Probleme
- mögliche Lösungen
Worum geht es bei #IchBinHanna?
Das oben genannte Gesetz sorgt dafür, dass im Gegensatz zu Beschäftigten im öffentlichen Dienst oder bei anderen Arbeitgebern eine Art Kettenverträge möglich sind – ein befristeter Vertrag folgt auf den anderen und das mehr als drei Mal.
Der Hintergrund: Das System der Hochschulen und das Verständnis von Lehre und Forschung darin. Schon zu meiner Zeit war Lehre für einige der Hochschullehrer*innen mehr saure Pflicht als Lust. Andere sahen gerade darin ihre bevorzugte Aufgabe – junge Menschen für die Wissenschaft auszubilden. Das ist so geblieben.
Seitdem ist viel passiert. Denken Sie nur an die heute üblichen „berufsqualifizierenden“ Studienabscghlüsse Bachelor udn Master.
Aber: Das System der Hochschulen ist zum großen Teil immer noch, wie es im 19. Jahrhundert entstand: Oben sitzt eine Person mit Professor*innentitel und dann kommen die Menschen, die einem „Lehrstuhl“ zugeordnet sind. Bei studentischen Hilfskräften kann das ja angehen – aber Leute, die bereits einen Doktortitel haben, selbständig wissenschaftlich arbeiten und Lehrverpflichtungen (auch so ein entlarvendes Wort!) wahrnehmen, sollten als eigenständig tätige wissenschaftliche Mitarbeitende gelten und nicht als „Zubehör“ zu einem Lehrstuhl.
In dem Anstoß gebenden – wenn nicht gar erregenden – Video des Bundesministeriums fü Bildung und Forschung spricht eine Wissenschaftlerin namens Hanna und verteidigt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, indem sie auf den „nötigen“ Wettbewerb hinweist. Das Video ist nicht mehr online 😉 Darin war von „Verstopfung“ an Hochschulen die Rede, wenn nicht ständig „frische“ Kräfte eingestellt werden. Wertschätzung für Mitarbeitende sieht anders aus.
Wegen des Namens der Protagonistin kam der Hashtag #IchBinHanna auf.
Was ist daran falsch?
Eigentlich klar, oder?
Wenn es ständig neue Leute in einem Job gibt, dann gibt es ständig Einarbeitungszeiten. Es gibt gegebenenfalls die berühmten „Reibungsverluste“, indem zum Beispiel erarbeitetes Wissen verloren geht. Es fehlt Kontinuität – in den Arbeitsabläufen, aber auch in der Betreuung von Studierenden.
Das ist der eine Aspekt.
Der andere Aspekt bei #IchBinHanna – das liebe Geld
Ja, das ist die Finanzierung. Die finanzielle Ausstattung der Hochschulen war schon immer ein Thema.
Inzwischen ist es so, dass viele Dinge, die an einer Hochschule passieren, nicht mehr mit den normalen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, bezahlt werden, sondern aus Sondertöpfen oder Drittmitteln. Dafür müssen sich alle anstrengen.
Nein, nicht, indem sie besser arbeiten.
Indem sie ständig Anträge schreiben, Evaluationen erstellen – sich dem Wettbewerb stellen. So sollen die besten Projekte und Leute gefördert werden.
Grundsätzlich klingt das gut – aber weil diese Art der Finanzierung so massiv im Vordergrund steht, wird durch diese Verfahren sehr viel Arbeitszeit und -kraft benötigt, die #IchBinHanna an anderen Stellen natürlich fehlt. Außerdem sind die Fristen für bewilligtes Geld eher kurz …
Und das, obwohl die meisten „Hannas“ eh schon regulär Überstunden schieben. Das hab ich in meiner Zeit an der Uni auch gesehen; in meinem Bereich konnten wir die Überstunden abfeiern – Menschen im akademischen Mittelbau, die dort weiter beschäftigt werden wollen, wird diese Option oft nicht geboten. Von Bezahlung dieser zusätzlichen Arbeitszeit ganz zu schweigen.
Und wie lebt #IchBinHanna?
Menschen sind ja nicht nur Angestellte oder sonstwie Arbeitskräfte, sondern Menschen. Sie wollen ein Leben neben der Arbeit – mit Menschen, die ihnen wichtig sind, zum Beispiel. Wer aber auf befristeten Stellen sitzt, bis das mittlere Alter – also ca. 40 Lebensjahre – nicht nur winkt, sondern schon da ist, kann sein Leben schlecht planen. Denn immer steht da die Möglichkeit im Raum, die Hochschule und die Stadt zu wechseln. Ein auskömmliches Einkommen bringen viele dieser Stellen auch nicht mit … Unsicherheit auf vielen Ebenen.
Im Grunde ist es erstaunlich, wie viele der Betroffenen das alles lange mehr oder weniger klaglos, als systemimmanent, hingenommen haben.
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon geben im letzten Kapitel ihres gut lesbaren, sehr informativen Buchs ein paar Hinweise, wie sich das System so ändern ließe, dass Forschung, Lehre und „Nachwuchs“ an den Hochschulen gut arbeiten können. In der Hoffnung, dass der Begriff „Nachwuchs“ dann nur noch für Menschen genutzt wird, die tatsächlich am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere stehen und nicht wie #IchBinHanna schon jahrelang forschen und lehren.
Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon: #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, Suhrkamp-Verlag, Berlin, 2022, ISBN: 9783518029756
Schon klar, dass ich dem Nachwuchs von einer „Karriere“ im Hochschulbereich abrate, oder?
Die Stadtbibliothek Köln hat das Buch auch im Bestand.
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