Halef, Sam und natürlich erst recht Winnetou, sind Gefährten des Ich-Erzählers, die immer wieder auftreten.
Sam und Halef vereinen dabei zwei Funktionen auf sich: Einerseits sind sie ernstzunehmende Freunde, auf die sich die Ich-Figur im Großen und Ganzen verlassen kann – na gut, ihnen passieren gelegentlich Fehler aufgrund von Selbstüberschätzung; dann müssen sie von Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi befreit werden und alles ist wieder in Ordnung. Aber sonst sind sie verlässlich und selbständig
Andere Figuren tauchen nur in einer Geschichte auf, z. B. Old Surehand. Im Grunde ein ernst zu nehmender Westmann, kommen er und Old Shatterhand zuerst in Kontakt, weil Old Surehand befreit werden muss – er ist in der unterlegenen Position. Der Erzähler schildert eine beeindruckende Persönlichkeit:
Ich hatte bald Licht genug, meinen neuen und berühmten Bekannten zu betrachten.
Da lag er jetzt vor mir, ruhig schlafend, ein wahrer Riese von Gestalt. Seine mächtigen Glieder waren ganz in Leder gekleidet, doch so, daß die von der Sonne gebräunte Brust unbedeckt blieb. Sein langes, braunes, seidenweiches Haar lag wie ein Schleier bis auf den Gürtel herab, und selbst im Schlafe, während dessen doch sonst das geistige Leben aus den Zügen zurückgetreten zu sein pflegt, lag auf seinem Gesichte der Ausdruck jener Energie, ohne welche ein guter Westmann undenkbar ist. Grad so, wie ich ihn hier liegen sah, hatte ich ihn mir vorgestellt, allerdings, weil er mir so beschrieben worden war; denn es ist keineswegs richtig, sich jeden namhaften Westläufer als eine solche Figur vorzustellen. Wer das thut – und das geschieht allerdings sehr häufig -, der fühlt sich dann später, wenn er den Betreffenden zu sehen bekommt, meist sehr enttäuscht. Berühmte Jäger von so riesiger Gestalt habe ich nur zwei gesehen, Old Firehand und Old Surehand. Man macht ja oft die Erfahrung, daß körperliche Hünen ein wahrhaft kindliches Gemüt besitzen und aller Kampfeslust und Kampfesfertigkeit ermangeln, während dürftiger gebaute Menschen sich lieber zerreißen als in die Flucht schlagen lassen. Doch soll dies natürlich keineswegs als Regel gelten. Das Leben im wilden Westen ist der Bildung voller Körperformen nicht günstig, doch schafft es eiserne Muskeln und Sehnen wie der Stahl.
Es war Zeit, die Schläfer zu wecken; ich that es, und als Old Surehand sich aufrichtete, konnte ich erst richtig sehen, in welcher Harmonie die einzelnen Teile und Glieder seines Körpers zu einander standen.
Es handelt sich also beim rein Äußerlichen um eine sehr positive Schilderung, sogar schon mit ein paar Interpretationen versehen. Aber letzthin bleibt ein Mensch übrig, der nicht so vollkommen ist, wie Old Shatterhand himself.
Er ist nicht gläubig – ein wichtiges Thema gerade in den Old-Surehand-Bänden und hat an zentralen Stellen nicht den richtigen Durchblick (denken Sie an die Entlarvung des Schurken und der Mutter) – wie alle Gefährten des Erzählers, mögen sie noch so klug und kraftvoll daher kommen. Den Mangel an Glauben nimmt Old Shattterhand ihm zwar nicht übel, aber seine Belehrungen sind nicht so ganz ohne:
Also betet, Mr. Surehand, betet! Aber denkt ja nicht, daß es sofort helfen muß! Betet in Gedanken, in allen Euren Worten und in allen Euren Thaten! Hättet Ihr mehr gebetet, so wäre Euch der Helfer längst erschienen!«
»Das ist viel, sehr viel gesagt, Mr. Shatterhand!«
»Jawohl; aber ich weiß, was ich sage. Ein altes Kirchenlied sagt:
»Mit Sorgen und mit Grämen
Und selbstgemachter Pein
Läßt er sich gar nichts nehmen;
Es muß erbeten sein!«Jedes Kind sagt dem Vater seine Wünsche; hat nicht auch das Erdenkind dem himmlischen Vater seine Liebe und sein Vertrauen dadurch zu beweisen, daß es von Herzen zu ihm spricht? Wird ein Vater seinem Sohne eine gerechte Bitte abschlagen, die er erfüllen kann? Und steht die Liebe und die Allmacht Gottes nicht unendlich höher als die Liebe und Macht eines Menschen? Glaubt es mir: Wenn der große Wunsch, den Ihr im Herzen tragt, überhaupt zu erfüllen ist, so wäre er schon längst erfüllt, wenn Ihr an Gott geglaubt und zu ihm gebetet hättet!«
»Was wißt Ihr von der Größe meines Wunsches?«
»Ich ahne es.«
»Wieder Ahnung!«
»Pshaw! Ahnungen sind innere Stimmen, auf die ich immer achte. Ihr habt mir damals im Llano estacado gesagt, daß Euch der Glaube an Gott durch unglückliche Ereignisse verloren gegangen sei. Soll ich da nicht ahnen, daß Ihr Euch nach dem Ende dieses Unglücks sehnt?«
»Richtig! Ich dachte, Ihr quältet Euch als Freund in Gedanken damit ab, mir die Ruhe wiederzugeben, welche ich verloren habe!«
»Was würden Euch meine Gedanken helfen? Die wahre Freundschaft bewährt sich durch die That, und wenn Ihr mich in dieser Beziehung einmal braucht, so habt Ihr gar nicht nötig, mich erst darum zu fragen.«
Als Old Surehand dann wieder auf eigene Faust seinem Geheimnis nachjagen will, nimmt er die Andeutungen seines klugen Freundes nicht ernst:
»Hört, Mr. Surehand, Ihr rechnet noch mit denselben Ziffern, mit denen Ihr gerechnet habt, als Ihr Euch von Jefferson-City aus auf den Weg machtet. Inzwischen aber ist manches geschehen, und die Verhältnisse haben sich geändert. Der ›General‹ ist da, und es ist – –«
»Pshaw!« fiel er mir in die Rede. »Den fürchte ich nicht! Was geht der mich überhaupt an?«
»Vielleicht mehr, als Ihr denkt!«
»Gar nichts, ganz und gar nichts, Sir!«
»Nun, ich will mich da nicht mit Euch streiten! Ferner sind die Utahs da.«
»Mir gleich!«
»Und der Medizinmann der Komantschen ist auch da!«
»Der ist mir erst recht gleichgültig!“
Klar, dass der gute Mann bald wieder in einer Klemme hockt und Hilfe benötigt.
Und weil er nicht da ist, entgeht ihm eine sehenswerte Szene. Kolma Puschi sagt:
»Meine Brüder haben mir einen großen Dienst erwiesen; ich danke ihnen! Ich werde mich freuen, sie einmal wiederzusehen.«
»Will mein Bruder Kolma Puschi schon fort?« fragte ich.
»Ja,« antwortete er.
»Warum will er sich so schnell von uns trennen?«
»Er ist wie der Wind: Er muß dahin gehen, wohin er soll!«
»Ja, er ist wie der Wind, den man wohl kommen fühlt; wenn er aber fort ist, weiß man nicht, wohin er ging. Mein Bruder mag wieder absteigen und noch eine Weile bei uns bleiben, denn ich habe notwendig mit ihm zu sprechen!«
»Mein Bruder Shatterhand mag verzeihen! Ich muß fort!«
»Warum scheut sich Kolma Puschi so vor uns?«
»Kolma Puschi scheut sich vor keinem Menschen; aber das, was seine Aufgabe ist, gebietet ihm, allein zu sein.«
Es war eine Lust für mich, Winnetou in das Gesicht zu sehen. Er ahnte, was ich vorhatte, und freute sich innerlich auf die Wirkungen, welche mein Verhalten hervorbringen mußte.
»Mein roter Bruder braucht sich nicht lange mehr mit dieser Aufgabe abzugeben,« erwiderte ich; »sie ist bald gelöst.«
»Old Shatterhand spricht Worte, welche ich nicht verstehe. Ich werde mich entfernen und sage meinen Brüdern Lebewohl!«
Schon hob er die Hand, um sein Pferd anzutreiben; da sagte ich:
»Kolma Puschi wird nicht fortreiten, sondern hier bleiben!«
»Ich muß fort!« entgegnete er mit aller Bestimmtheit.
»Well, so sage ich nur noch das Wort: Wenn mein B r u d e r Kolma Puschi fort muß, so bitte ich meine S c h w e s t e r Kolma Puschi, daß sie noch hier bei uns bleiben möge!«
Zufällige Informationsbröckchen und wilde Assoziationen haben Old Shatterhand enthüllt, was Old Surehand sucht, wer Kolma Puschi ist und wie Apanatschka da rein passt. Am Ende gibt es eine Familienzusammenführung und die Bösen sind tot.
Böse gesagt, fungiert der tolle Westmann Old Surehand als Aufgabengeber für den Haupthelden.
Merkwürdigerweise habe ich Karl May den Besserwisser und Allroundkönner Old Shatterhand – oder auch Kara Ben Nemsi – nicht übel genommen, obwohl der ja nun wirklich eine Nervensäge gewesen müsste … Naja , gerade in Old Surehand geißelt er an einer Stelle sich selbst und Winnetou für eine Unachtsamkeit:
Der klügste Mann begeht zuweilen eine Dummheit, und vielleicht grad dann, wenn er alle Veranlassung hat, klug zu sein. So auch wir! Von den andern will ich schweigen, aber daß wir beide, Winnetou und ich, diese Flasche unbeachtet ließen, das war eine geradezu unverzeihliche Nachlässigkeit von uns. Die leeren Konservenbüchsen hatten ja nichts zu sagen; aber die Flasche hätte unsere Aufmerksamkeit erregen müssen. Hätte sich Branntwein drin befunden gehabt, nun, so wäre er eben ausgetrunken und die Flasche dann fortgeworfen worden; aber es war Wasser drin gewesen, Wasser! Man hatte sie also nicht des Brandy wegens, sondern als Wasserflasche mitgenommen, sie als Feldflasche benutzt, welche man füllt und in die Satteltasche schiebt, um da, wo es kein Wasser giebt, seinen Durst löschen zu können. Im wilden Westen ist oder war wenigstens damals eine Flasche eine Seltenheit; sie wurde nicht weggeworfen, sondern aufgehoben. Auch diese hier war nicht weggeworfen, sondern vergessen worden; das hätte uns eigentlich unser kleiner Finger sagen müssen. Wenn der Besitzer, den Verlust bemerkend, umkehrte, um sie zu holen, so mußte er uns entdecken. Das war es, was wir uns hätten denken sollen und woran wir doch nicht dachten. Ich kann mich noch heut über meine damalige Unachtsamkeit ärgern. Die Folgen traten freilich sehr prompt ein!
Stadtbibliothek Köln
Auch hier heißt es wieder: Signatur 22.4. May und Sie bekommen, wenn nicht sie nicht entliehen sind, alle angeschafften Bände aus dem Karl-May-Verlag (bei den Wild-West-Geschichten sind meines Wissens alle da – bei den Münchmeyer-Romanen fehlte da schon mal was 😉 ).
Wer weiß, vielleicht plant RTL ja auch eine Verfilmung dieses Stoffs. Wenn Sie den Film im BR am 6.1.17 verpasst haben sollten, können Sie sich mit diesem Trailer zur Verfilmung von 1965 amüsieren.
Zu den Münchmeyer-Romanen gibt es ja auch ein E-Book – für 3,99
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