Luis hats drauf. Und wenn ers nicht drauf hat, dann sorgt sein Trainer dafür, dass die Mannschaft spurt. Man muss es schließlich bringen … Verena Güntner hat mit Luis einen Sechzehnjähigen geschaffen, der mindestens zwei Seiten hat – die eine voll cool, der Bringer eben. Er legt die meisten Mädchen flach, er verträgt mehr Alkohol als die Kumpels – bis auf Milan vielleicht, aber der ist ja auch schon 20 – und er triniert hart. Gegen seine Höhenangst z. B.. Täglich. Auf dem Balkon im 15. Stock.
Luis erzählt von Fickwetten, vom Saufen, von seiner Ma, von Kumpels und Mädchen. Und hat dabei manchmal einen ganz fürsorglichen Blick, z. B. gegenüber Marco, dem dicken Jungen in der Clique. Einerseits heißt es an einer Stelle: „er ist schlileßlich freiwillig fett“, als Begründung dafür, dass er von den anderen und von Luis selber immer gepiesackt wird. Andererseits sagt er aber dann über den täglichen Pralinenkonsum von Mutter und Sohn:
… dass sie die Pralinen gebraucht hat, um sie in das Loch zu stopfen, das sein Vater in ihr Herz gemacht hat. Wenn ihr mich fragt, hat Marco die Pralinen aber für sein eigenes Loch gebraucht. Bis jetzt ist das noch nicht zugewachsen. (S. 49)
Oder seine Beziehung zu Nutella, dem dicken Pony auf Jablonskis Weide – das erzählt der coole Luis niemandem, dass er da hingeht, um das Tier zu streicheln.
Verena Güntner verharrt die ganze Zeit in der Innensicht von Luis – ich sehe seine Welt aus seinen Augen, bekomme aus seiner Sicht mit, warum er sich mit einem stumpfen Kindermesser schabt (er will die Haut dünn machen, um sein Inneres zu erkunden …) und erfahre, wie sich Enttäuschung für ihn anfühlt. Auch seine Erfolge bei Fickwetten und Wettpinkeln – alles Luis‘ Sicht und Luis‘ Worte.
Nein, Luis ist kein Junge, den ich mir als Kumpel für den eigenen Nachwuchs wünsche; aber er ist ein Jugendlicher, der in seiner Situation zu überleben trachtet. Der meint, mit dem Trainer in seinem Kopf und der Manschaft in seinem Körper kann er alles nach Plan erledigen – mit Rückschlägen, ja, ärgerlicherweise, aber in eine vorgegebene Richtung gehend. Es bringen, eben.
Doch das Leben geht nicht nach Plan – das zu erfahren, tut verdammt weh. So weh, dass, so viel sei verraten, der Trainer irgendwann veschwindet.
Verena Güntner schafft es trotz der offensichtlichen Schriftsprache die Gefühle dieses Jungen für ihn sprechen zu lassen – nur selten habe ich gedacht: Das ist jetzt die Autorin, die spricht. Als Schauspielerin ist sie geübt, sich in andere Charaktere zu versetzen. Und Dialoge sind quasi ihr Haupthandwerkszeug. Das passt auch gut zu dem langen Monolog dieses Jungen.
Es ist kein bequemes Buch und anders als andere finde ich es auch nicht witzig – trotz mancher witziger Stelle. Es ist ein Buch, das mir die Jungen näher bringt, die am Bahnhof auf dem Geländer hocken und blöde Sprüche machen 😉
Verena Güntner: Es bringen, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2014, ISBN: 9783462046922
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