Eine Dame von Welt von Henry James

Eine Dame von Welt von Henry James

Bisher hatte ich noch nichts von Henry James gelesen – zu meiner Schande sei es gesagt. Die anlässlich seines 100. Todestages Ende Februar vom Aufbau-Verlag erstmals auf Deutsch vorgelegte Erzählung „Eine Dame von Welt“ (im englischen Original „The siege of London“) bot mir einen willkommenen Einstieg.

Es geht um Nancy Headway – fast ausschließlich als Mrs. Headway benannt -, eine „Southern Beauty“ aus San Diego mit bewegtem Lebenslauf, die in der vornehmen Gesellschaft Europas Fuß fassen will. In den USA ist es ihr nicht gelungen – zu bekannt sind ihre vielen Ehen, die mit Scheidung endeten. Und es fehlt ihr ein bisschen 😉 das Savoir-vivre. Deutlich wird das, wenn sie in einem vornehmen Lokal mal eben die Gläser nachpoliert. Auch ihre Sprechweise ist alles andere als vornehm-zurückhaltend. Fürs Fußfassen ist sie auf gutem Wege, denn der junge Lord Arthur Demesne liegt ihr zu Füßen und erwägt eine Heirat; wenn sie denn eine „ehrbare“ Frau ist. Davon nun soll ihn ein alter Freund Mrs. Headways, George Littlemore, der ihr in Paris wieder begegnet, überzeugen. Der hat aber bereits gegenüber dem jungen Botschaftsangehörigen Waterville, mit dem er sie im Théatre Française, sah, die Frage nach ihrer Ehrbarkeit verneint.

In den beiden Teilen der Erzählung  – erst Paris, dann England – bekomme ich Einblick in die verschiedenen Gedankengänge der Hauptpersonen – besonders von Littlemore und Waterville. Muss George Littlemore tatsächlich verhindern, dass die erfahrene Frau, Witwe und mehrfach geschieden, einen jungen Mann adliger Abkunft heiratet? George Littlemore ist ein Mann der Gesellschaft, reich und gelangweilt und es nervt ihn ziemlich, dass ihn alle mit dieser Frage behelligen: Waterville, seine Schwester, die Mutter Arthur Demesnes – er hält sich da lieber raus.

Was den Stil von Henry James auszeichnet, ist seine Ironie. So beschreibt er den Auftritt von Mrs. Headway im Landhaus von Arthur Demesne :

Mrs. Headway trat vorzüglich ein in die englische Gesellschaft mit ihrem bezaubernden Lächeln auf den Lippen und die Trophäen aus der Rue de la Paix hinter sich herschleifend. (S. 64)

Roberts-The Australian native
Ob diese Dame ihre Kleidung auch in der Rue de la Paix gekauft hat?
Henry James kommentiert ihr Auftreten ein bisschen liebevoll und gleichzeitig kritisch – aus der Sicht Watervilles, der sich als Botschaftsangehöriger für seine Landsleute zuständig fühlt; James nutzt hier das Bild von Hirte und Schäfchen und sicher ist es nicht unbeabsichtigt, dass der junge Amerikaner eine Pfarrersfrau als Tischdame hat. Ein bezaubernder Schlenker, wie ich finde.

Ein Thema des Amerikaners Henry James ist die Verschiedenheit der Kultur zwischen einzelnen Ländern – nicht nur Amerika im Vergleich zu Europa, sondern auch innerhalb Europas, bspw. der zwischen England und Frankreich. In dem Essay „Gelegentlich Paris“, der in dieser Ausgabe auf die Erzählung folgt, geht er dem nach. Und auch hier gibt es Formulierungsschmankerl; der Autor bezieht sich auf das Theaterstück „Le Demi-Monde“  von Alexandre Dumas Fils (das er auch in der Erzählung zitiert) und in dem es ebenfalls um die Bemühung einer nicht mehr ehrbaren Frau in die gute Gesellschaft geht. Ihr wird dieser Einstieg durch einen ehemaligen Liebhaber unmöglich gemacht – eine zutiefst moralische Zwickmühle. Der Unterschied zwischen englischem und französischem Publikum würde nun darin bestehen, meint James, dass die Vorlieben in England nicht bei dem Liebhaber lägen, wie es in Frankreich der Fall war, sondern bei der Frau. Die Begründung gibt er in einer rhetorischen Frage:

Ist dies der Fall, weil ein solches Publikum, obwohl es keine so hübsche Sammlung von Podesten zur Erhöhung des schönen Geschlechts hat, letztlich mangels allzu großer Ritterlichkeit viel zarbesaiteter ist? (S. 122)

Insgesamt habe ich die Erzählung genossen und werde, wenn ich mal einen Schmöker brauche, wohl auch mal zu einem dickeren Werk von Henry James greifen.

Henry James: Eine Dame von Welt. Eine Salonerzählung, aus dem Englischen von Alexander Pechmann. Aufbau-Verlag, Berlin , 2016 , ISBN: 9783351036348

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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