Saba ist ein verlassener Zwilling. Ihre Mutter und ihre Zwillingsschwester sind ausgewandert, sagt sie. Raus aus dem Iran der Mullahs, nach der Revolution von 1979. Saba bleibt mit dem Vater allein im Dorf. Ihre engsten Freunde sind Reza und Ponneh – Dorfkinder. Dabei gehört Saba einer reichen Familie an, einer Familie, die bis zur Revolution nur gelegentlich ins Dorf kam, sonst in Teheran wohnte. Doch jetzt, nach dem Verschwinden von Mutter und Schwester, leben sie immer hier.
Dina Nayeri ist selbst als Achtjährige aus dem Iran emigriert. Sie wuchs in den USA auf, absolvierte Harvard – und merkte, dass ihr Bestreben, um jeden Preis eine erfolgreiche westliche Frau sein zu wollen, letztlich nicht genügte. So kam sie auf die Idee, aufzuschreiben, was mit ihr passiert wäre, wenn sei im Iran geblieben wäre. Dina Nayemi recherchierte mehrere Jahre ausführlich, korrespondierte mit Menschen aus Gilan, der Provinz, in der der Roman spielt, mit Experten, ließ sich Geschichten erzählen, schaute Fotoalben und Filme an. Am Ende gab sie ihren Roman zum Gegenlesen an diese Gewährsleute – aber sicher seien immer noch Fehler drin, meint sie, denn sie sei eben nicht dort aufgewachsen. Ihre Alltagsschilderungen entführen in eine andere Welt – voll mit Geschichten, mit persischen Gerichten (eingelegter Knoblauch), mit Haschisch und Opium im Alltag, mit Alkohol an besonderen Festtagen, mit Sittenwächtern, die Mädchen prügeln, wenn ein Stück roter Schuhspitze unter dem Tschador hervorlugt. Es ist eine archaisch anmutende Welt, frauenfeindlich und streckenweise sehr matriarchalisch.
Sabas Familie ist eigentlich christlich. Ihre Mutter hat immer darauf bestanden, dass sie englisch lernt, dass sie amerikanische und englische Literatur liest. Das tut sie auch weiterhin. Dazu kommt Pop- und Rockmusik, für die sich auch Reza interessiert. Er kann zwar kein Englisch, hört aber allen Liedern, die sie beide lieben, so oft, dass er sie danach auf der Seta spielen kann. Natürlich ist solche Musik und solche Literatur verboten – ein ständiger Balanceakt ist nötig, um nicht entdeckt zu werden. Zumindest nicht von den Leuten, die tatsächlich Strafen verhängen können. Der Vater Sabas hält die Türen seines großen Hauses gastfreundlich offen für alle – auch für den Mullah, der hier sein Opium bekommt, seinen Alkohol. Diese Verbindung schützt die Familie. Die Frauen des Dorfes kümmern sich um Saba. Alle Khanoms kommen im Laufe des Buches zu Wort und verleihen ihrer Meinung zu Saba und ihrer Familie Ausdruck – ihre Ansichten decken sich nicht mit denen Sabas und bringen so eine andere Interpretation des Geschehens ins Spiel.
Es ist ein berührendes Buch. Sabas Blick geht immer weg von dem Iran, in dem sie leben muss, übers Meer, nach Amerika oder zurück in die Zeit vor der Revolution, als das Leben einfacher, lockerer war und sie noch Mutter und Schwester hatte. Die Sehnsucht nach ihrer Schwester bestimmt das, was sie erzählt. Ihre Geschichten über das Leben ihrer Schwester in Amerika speisen sich aus der Lektüre der alten Zeitschriften,der Bücher, aus den Filmen und Songs.
Der Einblick in die Vorgehensweise der Sittenpolizei ist nichts für schwache Nerven. Saba und ihre Freundin Ponneh machen jede auf ihre Weise Bekanntschaft mit der Macht der Männer über die Körper der Frauen. Der andere Blick geht auf das einfache Leben der Menschen in der Provinz Gilan, auf ihren Zusammenhalt, ihre Traditionen, ihre Geschichten, die in ihrem Leben eine große Rolle spielen.
Dina Nayeri: Ein Teelöffel Land und Meer, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, mareverlag, Hamburg, 2013, ISBN: 97838866480131
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