Was für eine Frau ist AnnaRosa? Diese Frage treibt mich in den ersten Abschnitten des neuen Romans von Root Leeb um; es gibt den Wechsel von AnnaRosas Innensicht, die in der „sie“-Perspektive erzählt wird, zu der Innensicht von Melissa und Bruno – lauter unterschiedliche Sichtweisen auf AnnaRosa..
Mit einem ersten, für die Fünfjährige traumatischen, Ereignis beginnt das Buch. Weil der Hahn an ihrem Geburtstag sterben musste, hält sich Annarosa (damals noch mit kleinem „r“) für verantwortlich. Dieses Verantwortungsgefühl und diese Empathie sind Triebfedern ihres Lebens und Handelns.
Melissa, AnnaRosas ältere Schwester, erzählt in der Ich-Perspektive. Sie ist Psychologin von Beruf und ihre Stimme wirkt zu Beginn sehr überzeugend, wenn sie das Leben ihrer Schwester berufsbedingt als gefährdet und behandlungsbedürftig schildert. Schließlich kennt sie AnnaRosa von Kindheit an und kann viele Ereignisse aus eigener Anschauung beschreiben
Die dritte Stimme im Kammerkonzert dieses Romans von Root Leeb gehört Bruno, einem der beiden Männer in AnnaRosas Leben.
Der Titel „Don Quijotes Schwester“ fällt Melissa erst gegen Ende der Geschichte für ihre Schwester als Bezeichnung ein. Bis dahin ist mir schon klar geworden, dass Melissa vor allem auf das Pathologische schaut und dieser Blick nicht die einzige Perspektive ist, aus der man AnnaRosas Leben betrachten kann. Melissa hat diesen Namen gefunden, um ihre Schwester zu beschreiben, diese junge Frau, die sich vorgenommen hat, die Welt zu retten, die Aktionen startet, deren Charme den Wunsch aufkommen lassen, sie seien real. Diese Sitzmöbel in der Stadt zum Beispiel oder auch die Castingshow mit Kindergartenkindern. Melissas Intention dabei ist es allerdings, die Aussichtslosigkeit und in ihren Augen Absurdität von AnnaRosas Einstellungen auszudrücken.
Root Leeb erzählt liebevoll, ein bisschen ironisch und teilweise in bezaubernden Bildern:
„… und die beiden waren aufgekratzt wie ein Spatzenpaar im Morgenwind. (S. 174)“
„Der Wetterbericht hing am Himmel. Für alle deutlich sichtbar. Er musste nur gelesen werden. Wie indigofarbene Wattefetzen zogen die Wolken über die Stadt, als AnnaRosa das erste Mal wieder ins Freie trat. (S. 111)“
Bei aller Poesie bringt Root Leeb durch AnnaRosas Engagement Themen aufs Tapet, die tatsächlich Fragen unserer Zeit sind. AnnaRosa geht es um Nachhaltigkeit, Konsumkritik, Gerechtigkeit und Lebensqualität für alle – darunter tut sie‘s nicht.
Zu Beginn des Buches hatte ich Einstiegsschwierigkeiten, doch nach und nach nahmen mich AnnaRosa, Melissa und eben Root Leeb so gefangen, dass ich aufpassen musste, nicht meine Station zu verpassen.
Root Leeb: Don Quijotes Schwester, ars vivendi Verlag, Cadolzburg, 2015, ISBN: 978386935731.
PS: Root Leeb ist übrigens die Ehefrau von Rafik Schami, dem Autor des diesjährigen Buches für die Stadt in Köln, zu dem ich letzte Woche ein paar Hintergrundinformationen gegeben habe.
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