Inhalt des Beitrags
Im Gegensatz zu „Das Waldröschen“ handelt es sich bei „Die Liebe des Ulanen“ eher um einen Zeitschriftenroman als um einen Kolportageroman wie die übrigen Münchmeyer-Romane von Karl May; er erschien zwischen 1883 und 1885 in der Zeitschrift „Deutscher Wanderer“. Man kann diesen Roman als Wochenendlektüre der Leserinnen und Leser vom „Deutschen Wanderer“ bezeichnen, denn die Lieferungen erfolgten stets am Samstag. Trotz des Untertitels „Original-Roman aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges von Karl May“ umfasst die gesamte Handlungszeit der 107 Lieferungen einen deutlich größeren Zeitraum als nur die Jahre 1870/71.
Der Inhalt
Die Handlung des Romans umfasst mehrere Jahrzehnte – von 1814 bis 1871. In dieser Zeit spielt sich das Drama zwischen der Familie von Königsau und ihrem Erzfeind Albin Richemonte ab. Die erste Lieferung des Kolportageromans setzt mit dem Geschehen um den Enkel Richard von Königsau ein, der als Spion auf das Schloss Ortry, dem Sitz Albin Richemontes, befohlen wird. Er tritt hier als Lehrer für den vorgeblichen Enkel des Schlossherrn auf, verkleidet sich dafür als buckliger, schwächlicher Mann und hat seinen Offiziersburschen Fritz Schneeberg als vorgeblichen Kräutersammler beim Arzt in Thionville stationiert. Bereits auf der Reise machen Richard und Fritz sich einen Namen, indem sie bei einem Schiffsunglück zwei
junge Damen retten, deren eine die – ebenfalls vorgebliche – Enkelin Albin Richmontes, Marion de Sainte-Marie, ist. Mit an Bord war der junge Graf Rallion, der nach dem Willen seines Vaters und Albin Richmontes Marion heiraten soll. Da er beim Schiffsunglück nur danach trachtet, sich selbst zu retten, zieht er sich aber deren Verachtung zu. Außerdem hat sie bereits ein heimliches Idol-Richard von Königsau. Der vorgebliche Lehrer Müller führt sich bei dem alten Schlossherrn kurz danach dadurch positiv ein, dass er den Jungen, den er unterrichten soll, vor einem Sturz in den Abgrund rettet. Alexander de Sainte-Marie ist der einzige Mensch, dem gegenüber Albin Richemonte fürsorglich und nahezu liebevoll auftritt.
Und jetzt ist Schluss mit dem ständigen „vorgeblich“ – Albin de Richemonte hat sein ganzes Leben auf ein Lügengespinst gebaut – Sie können davon ausgehen, dass bis auf eine alle seine Verwandtschaftsbeziehungen „vorgeblich“ sind 😉 und die Guten müssen sich eben oft verleiden und verstecken,um ihm auf die Schliche zu kommen.
Gleich in der ersten Nacht entdeckt Richard viele Geheimnisse des alten Schlosses, als da wären Geheimgänge, Geheimtreppen und geheime Gucklöcher in verschiedene Gemächer. Er wird Zeuge von Mord und Erpressung – ein gelungener Einstieg für einen echten Karl-May-Münchmeyer-Helden. Unnötig zu erwähnen, dass auch Richard Marion gewogen ist. Auch Fritz Schneeberg findet in Marions Gefährtin Nanon Köhler eine angenehme Begleitung für seine Streifereien im Wald. Dort gibt es weitere Geheimnisse zu entdecken: geheime Gänge, die von mir so geschätzten verborgenen Türen in Felsen, geheimnisvolle Versammlungen und lebende Menschen in scheinbaren Gräbern.
Die Handlung rund um Richard und Marion in Schloss Ortry bildet quasi die Rahmenhandlung um die Geschichte der Feindschaft, die Albin Richemonte der Familie von Königsau entgegenbringt. Sie hat ihren Ursprung in der Zeit kurz vor Napoleons endgültigem Sturz. Hugo von Königsau befindet sich damals mit der Besatzungsarmee in Paris und verliebt sich auf der Straße in Margot Richemonte. Kurz zuvor gab es ein Rencontre zwischen ihm und Albin, als dieser in einem Café Feldmarschall Blücher beleidigte. Albin und Baron de Reillac verhandelten gerade über die Schulden Albin Richmontes; wenn er Margot zur Frau bekäme, würde der Graf auf die Rückzahlungen verzichten … In Folge wechseln sich Entführung, Straßenüberfälle und Flucht ab, bis Margot und ihre Mutter sich auf dem Meierhof Jeanette der Baronin de Sainte-Marie, nahe bei Roncourt in Belgien, in Sicherheit wiegen.
Zum einen stöbert sie dort jedoch Albin Richemonte auf, zum anderen bezieht Napoleon Bonaparte genau dort Quartier, nachdem er Margot nach einem Raubüberfall auf seine Person und die daraus resultierende Verwundung Margots kennengelernt hatte. Napoleon hat sich verliebt. Hugo von Königsau, der den Raubüberfall entdeckt und das Schlimmste verhindert hatte, gilt als Neffe der Hausherrin, wird aber wegen seines vertrauten Umgangs mit Margot von Napoleon scheel angesehen. Hugo, Margot und ihre Mutter fliehen. Als Hugo die von ihm auf den Weg zu Meierhof entdeckte geraubte Kriegskasse an einem sicheren Ort vergräbt, wird er von französischen Soldaten niedergeschlagen und verliert das Gedächtnis rund um alles, was mit der Kriegskasse zusammen hängt. Nach der Hochzeit mit Margot muss er den Abschied nehmen, erhält aber durch Blücher ein Gut und erbt nach dem Tod der Baronin de Sainte-Marie den Meierhof Jeanette.
Seinen Sohn nennt er nach Feldmarschall Bücher Gebhardt; dieser findet ebenfalls in Paris die Frau fürs Leben, nämlich die Baroness Ida de Rallion. Sein Freund Kunz von Goldberg wird sein Schwager. Beide reisen nach Nordafrika, um dort entweder wissenschaftlich zu arbeiten – Gebhardt von Königsau – oder um Abenteuer zu erleben – Kunz von Goldberg.
Auch Albin Richemonte landet in Nordafrika, zur selben Zeit wie Gebhardt und Kunz; er ist dort als Spion tätig und gilt als Araber. In seiner Gesellschaft befindet sich ein junger Mann, den er von Kind an erzogen hat; es ist ein junger Cousin, den er nach der Ermordung des Sohnes und des Enkels der Baronin von Sainte-Marie, die die als heilige Männer ebenfalls in Nordafrika weilten und dort Berühmtheit erlangten, genau als diesen Enkel der Baronin ausgibt. So kann er von Königsau auch den Meierhof Jeanette abluchsen. Indem er den angeblichen Baron des Sainte-Marie adoptiert, sichert er sich seine Herrschaft. Der junge Mann ist geistig labil und leidet sowohl unter den Mord an diesen beiden genannten Männern als auch an dem Massaker, dass Albin Richemonte am Stamm der Beni Hassan vollführen lässt. Henri Richemonte, so der reguläre Name des späteren Barons, hatte sich nämlich in Liama verliebt, die jedoch noch kurz vor der Gräueltat mit Saadi vermählt worden war. Die Tochter, die sie als Baronin gebar, war das Kind Saadis und wurde auf den Namen Marion getauft.
Albin Richemonte hat seinen Rachefeldzug gerade erst begonnen. Über einen Strohmann lässt er das Gut, das Hugo von Königsau zum Abschied erhalten hat und auch das ererbte Gut derer von Königsau, kaufen – statt Geld findet die Familie Steine in ihrer Geldkassette. Doch der Strohmann hat auch seinen Auftraggeber betrogen; er taucht später für den Leser recht unvermutet wieder auf.
Die Familie von Königsau war durch den Verlust des Gutes und des Meierhofs verarmt und die verlorene Kriegskasse, an deren aktuelle Lage sich Hugo von Königsau nicht mehr zu erinnern vermochte, nahm großen Raum in den Familiengesprächen ein. Richard und seine Schwester Emma hörten den Großvater und Vater oft darüber sprechen. Gebhardt von Königsau machte sich auf den Weg, sie zu entdecken. Dabei geriet er in die Fänge Albin Richemontes – man hörte nie wieder von ihm.
Bis, ja bis Richard nach Ortry kam. Eigentlich war sein Ziel, geheime Bewaffnungsmaßnahmen, Waffenlager und Kommandostrukturen der sogenannten Franctireurs ausfindig zu machen; Albin Richemonte war in dieser Bewegung ein führender Kopf. Doch es gab ja so viele Geheimnisse rund um die Familien von Königsau, de Sainte-Marie, von Goldberg und Bas-Montagne aufzuklären. Natürlich schaffte es Richard, sowohl seinen militärischen Auftrag zu erfüllen, als auch die Familiengeheimnisse zu lüften.
Ein paar Nebenhandlungen gefällig?
- Henry de Lormelle war der Strohmann für den Betrug an Hugo von Königsau; er machte sich mit dem Geld davon und später in der Unterwelt als „Lumpenkönig“ einen Namen. Seine Tochter Agnes weiß bis zu seinem Tod nichts über sein verbrecherisches Vorleben und taucht im Schlusstableau mit dem veruntreuten Geld bei Familie von Königsau auf.
- Arthur von Hohenthal, ein Freund Richards von Königsau. ist ebenfalls als wandlungsfähiger Spion in Paris aktiv. Er verhindert die Entführung der Comtesse Ella de Latreau, in die er sich verliebt hat.
- In die verschiedenen Verbrechen sind ein paar Unterweltsgestalten verstrickt, die teilweise mehr wissen, als die betroffenen Familien – aus Angst vor Verrat von ihrer Seite gibt es weitere Verbrechen.
- Der Maler Hieronymus Aurelius Schneffke ist auf der einen Seite die komische Figur im gesamten Roman, auf der anderen aber äußerst hilfreich bei der Lösung der Geheimnis um die Familien Bas-Motagne und von Goldberg.
Das Schlusstableau entfaltet sich bei der Schlacht von Sedan, wo alle Beteiligten teils als Kämpfende, teils als Sanitäter und Sanitäterinnen, Dienst tun. Und zu guter Letzt taucht auch die Kriegskasse aus den Tagen Napoleons wieder auf. Dass Liama und Gebhardt dem Leben wieder zurückgegeben werden, versteht sich ja von selbst, nicht wahr? (Bei Problemen mit den Personen und ihren Zuordnungen empfiehlt sich ein Blick auf die Seiten des Karl-May-Wikis 😉 )
Ausgaben
in Karl-May-Verlag wurde mit den Bänden 56 bis 59 die gesamte Handlung chronologisch abgespult, d. h. „Der Weg nach Waterloo“ beginnt mit der Handlung um Hugo von Königsau – allerdings heißt die Familie hier „Greifenklau“ … Erst im dritten Band „Der Spion von Ortry“ kommen wir zu dem Teil, mit dem Karl May die Handlung einsetzen ließ. Die Kürzungen in dieser Ausgabe sind nicht so massiv, wie sie bei dem Münchmeyer-Roman „Waldröschen“ vorgenommen wurden; die historisch-kritische Ausgabe verzeichnet fünf Bände. Mir lag auch in diesem Falle eine Ausgabe des Verlags Neues Leben aus den neunziger Jahren vor. Online finden Sie bei Projekt Gutenberg und auf den Seiten der Karl-May-Gesellschaft zum Teil die von Adalbert Fischer bearbeiteten Ausgaben von 1901/02, aber auch die Originalausgabe.
Persönlicher Eindruck
Ich hatte schon als Kind große Freude an dem Band „Der Spion von Ortry“ – das muss an der Vielzahl von Geheimgängen und lautlos zu verschiebenden, mit Felsen maskierten Türen in der Unterwelt des Schlosses gelegen haben. Gerade solche Szenen haben mich oft veranlasst, andere Romane mit den Münchmeyer-Romanen von Karl May zu vergleichen, zum Beispiel „Die 1000 Herbste des Jacob de Zoet“. Dass Karl May bei seinen Münchmeyer-Romanen am Ende etwas schwächer wird, habe ich bereits bei meiner Vorstellung vom „Waldröschen“ erwähnt. Je nach Ausgabe ist bei diesem Buch nicht ganz klar ob sich nun beispielsweise alle Mitglieder der Familie Bas-Montagne versöhnen oder ob der alte Untersberg starrköpfig bleibt. Auch in Hinblick auf manche Namen ist Karl May offensichtlich ins Schwimmen geraten – mal heißt Richards Schwester Emma, mal Bertha (wobei es eine andere Bertha gibt – die Schwiegertochter der Baronin de Sainte-Marie). Kein Wunder, wenn ich als Leserin auch gelegentlich den Überblick verliere. In der Ausgabe des Karl-May-Verlags sind solche Unstimmigkeiten beseitigt.
Linksammlung
- Historisch-kritische Ausgabe – Verzeichnis
- Karl-May- Wiki zu Personen in „Die Liebe des Ulanen“
- Text „Die Liebe des Ulanen“ bei Karl-May- Gesellschaft
- Text „Die Liebe des Ulanen“ bei Projekt Gutenberg
- Rezension zu „Die 1000 Herbste des Jacob de Zoet“
Für Leselustige: In der Stadtbibliothek Köln gibt es – in der Kinderbücherei im Untergeschoss unter der Signatur 22.4., Sonderaufstellung „Klassiker“ – die vier Bände des Karl-May-Verlags:
Maike
5. August 2016 at 10:13Wie schön, es geht weiter mit Karl May! Und die Illustrationen sind ja wieder richtig herrlich … Die Geschichte habe ich in der Ausgabe des Karl-May-Verlags gelesen, hatte aber auch meinen Spaß an der ganzen Spionage und an den sehr verwickelten Verhältnissen.
Heike Baller
5. August 2016 at 11:11Verwickelt- fürwahr; kein Wunder, dass Charly selber manchmal durcheinander kam 😉
Heike Baller
5. August 2016 at 17:54Aprops weitergehen: Bis November immer zu Monatsbeginn (so circa).
Maike
7. August 2016 at 11:03Wie schön, ich glaube, daran werde ich weiter meinen Spaß haben. 🙂