Christine Vogeley hat in ihrem neuen Buch ein Museum entworfen, das ich einfach großartig finde: Hier wird nicht zwischen wertvoll und nicht wertvoll unterschieden. In der Schmuckvitrine liegen Armbändchen aus dem Kaugummiautomaten neben Goldreifen, neben dem Bild eines niederländischen Meisters hängt eine Kinderzeichnung; auch thematische Zusammenhänge werden geschaffen: So finden sich in einem der Räume „nur“ der Elfenstein, eine Platte mit versteinerten steinzeitlichen Riesenlibellen und ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert mit lebensecht gemalten Libellen.
Sie merken schon – ich fühle mich, als hätte ich das Museum tatsächlich besucht. Dabei ist es eine Erfindung der Autorin. Und das Museum spielt zwar eine große Rolle, aber die Hauptfiguren sind trotzdem Menschen – in der Hauptsache solche des 21, Jarhunderts. Es gibt allerdings auch solche aus dem 19. Jahrhundert, die mitspielen. Darf ich vorstellen:
- Dr. Carlotta Goldkorn, Mädchen für alles im im Museum Fichtelbach, gerade mit der Entwicklung einer Ausstellung befasst, die den Gründer des Museums, August Gayette, ehren soll. Der war übrigens ihr Urgroßonkel.
- Dr. Jelena Gundrich, Direktorin mit sehr viel Inspiration, um den Geist August Gayettes lebendig zu halten – mit einem schwierigen, unberechenbaren Charakter.
- Prof. Gösta Johansson, schwedischer Literaturwissenschaftler und Urgroßenkel des Malers Jasper Johansson, der im Auftrag August Gayettes Expeditionen in Südamerika malend begleitete.
- Onkel Henri und Jule gehören zu Carlotta. Außerdem gibt es noch ihre Cousine Susan Gayette, die als Restaurtorin im Museum arbeitet.
- Emiliy Grobkümmel ist die Frau fürs leibliche Wohl in der Caféteria des Museums. Ihr Sohn Leo soll nach der Vorstellung ihres Freundes ein Fußballer werden, dabei liebt er es, bei Onkel Henri zu schnitzen. Jule nimmt sich seiner in der Schule an.
- Dann gibt es in Schweden noch Nils, den Sohn von Gösta, sowie Sture und seine Frau Kerstin in der Nachbarschaft – Sture macht in Göstas Abwesenheit eine großartige Entdeckung.
Da sind noch mehr, klar, auch die Figuren aus dem 19. Jahrhundert; aber deren Bekanntschaft machen Sie besser beim Selber-Lesen.
Gösta kommt mit einem Bild aus dem Bestand seiner Familie, um es für die Ausstellung auszuleihen. Er und Carlotta haben sich nicht gesucht und doch gefunden. Stures Entdeckung eines Wandgemäldes in Schweden stellt die bisherige Geschichte rund um August Gayette und Jasper Johansson in ein neues Licht sowie Carlotta und Gösta vor einige Aufgaben. Jaspers erste Frau Lovisa spielt in dieser Geschichte eine Hauptrolle. Sie ist übrigens die erste Person, der ich als Leserin begegne …
Während Carlotta und Gösta versuchen, die Spuren der Vergangenheit zu lesen, entwickeln sich in ihrem Umfeld die Sachen auch neu – Eifersucht und unglückliche Liebe, Überforderung und ein falscher Partner sorgen für Spannung. Und dann taucht immer wieder die Frage auf: Wer hat denn nun welches Bild gemalt?
Christine Vogeley schafft es, alle Handlungsbälle leicht und abwechslungsreich zu jonglieren. Den Charakteren ihres Buches merkt man einmal mehr an, dass sie ihre Figuren ernst nimmt und mag. Der Fokus der Geschichte liegt im neuen Buch mehr auf der einen Frau, Carlotta, und dem einen Mann, Gösta – trotzdem bekommen alle anderen Protagonistinnen den ihnen passenden Raum.
Die Handlung ist abwechslungsreich und spannend und auch berührend – alles Eigenschaften, die ich an den Büchern von Christine Vogeley sehr mag; besonders hat mich aber in diesem Buch eben das Museum fasziniert und dabei die unglaublich lebendige Schilderung von Kunstwerken, von Maltechniken und eben der ungewöhnlichen Präsentation in ungewöhnlichen Räumen. In kunsthistorische Zusammenhänge werden die Bilder auch eingeordnet – so habe ich hier das erste Mal von Anders Zorn gelesen, einem schwedischen Maler, Zeitgenosse der Figuren aus dem 19. Jahrhundert.
Ein Absatz, den ich aus dem Buch mitnehme, ist der hier:
„Und dann?“ – „Dann würde ich versuchen, Jule an der Zentralkasse umzutauschen. Ach, das geht ja gar nicht mehr, fällt mir da ein. Eure Reklamationsfrist ist ja leider abgelaufen. Mist. Na ja, dann müssen wir euch weiterlieben, wie es aussieht.“ (S. 360)
Christine Vogeley: Die Liebe zu fast allem, Knaur Verlag, München, 2014, ISBN: 9783426653470
Die heutige Rezension gehört in die Blogparade „12 Bücher in 12 Monaten„.
martha
16. September 2014 at 11:34Kleiner Hinweis – das Buch heißt eigentlich „Die Liebe zu so ziemlich allem“ 😉
[BLOCKED BY STBV] Lesung mit Christine Vogeley in Hennef
24. September 2014 at 7:39[…] hab ich doch letztens das Buch mit dem Titel „Die Liebe zu so ziemlich allem“ vorgestellt, das mir so gut gefallen hat, das ich es bei “12 Bücher in 12 […]