Die jüngste Miss Ward von Joan Aiken

Die jüngste Miss Ward von Joan Aiken

Ja ja, ich weiß – der Name Ward erscheint gleich auf der ersten Seite von „Mansfield Park“ von Jane Austen. Ich konnte den Titel von Joan Aiken trotzdem nicht sofort einordnen. Schließlich sind die Schwestern Ward – also  die Mutter von Tom, Maria, Edmund und Julia Bertram, ihre Schwester Mrs. Norris und „die arme Fanny“ Price – nicht die Hauptpersonen des Romans.

Joan Aiken hat in ihrem Roman den drei Schwestern Ward eine vierte hinzugesellt, deren Lebenslauf sie verfolgt. Dabei kommt die bekannte Geschichte von Jane Austen immer wieder in den Blick – Harriet (genannt Hatty) hätte aber ebenso gut eine andere Familie haben können als die von Mansfield Park. War Ihnen bewussst, dass Mrs. Norris auch einen Vornamen gehabt haben muss? Mir nicht … Joan Aiken nennt sie Agnes. (Jetzt müsste ich glatt „Mansfield Park“ noch mal lesen …. Ich meine aber, da ist nur von „Mrs. Norris“ und in der Anrede „Schwester“ die Rede. Wissen Sie mehr? Ich freu mich über Korrekturen, wenn nötig.)

Vorweg sei gleich gesagt: Ich fand die Geschichte recht gelungen, die Anbindung an Austens Buch vor allem „nett“, weil es Joan Aiken ein paar Eigenheiten der Schwestern, wie man sie in ihren späteren Jahren kennenlernt, auf ihre Weise „begründet“.

Hatty wird gegen ihren und den Willen ihrer sterbenskranken Mutter aus der Familie weggegeben und zwar in die Familie des Onkels. Das eigentliche dramatische Geschehen findet erst mal bei anderen Personen statt: Die Freundin ihrer Mutter, Lady Ursula Fowldes, hat in jungen Jahren eine Enttäuschung in der Liebe erfahren und ist seitdem eine Frau von großer Strenge gegenüber sich selbst, erst recht aber gegenüber anderen. Sie soll bei der Hochzeit von Maria Ward, zukünftig Lady Bertram, die Hausfrau stützen., bzw. ersetzen Die kleine Hatty ist ihr unsympathisch und muss weg. Lady Ursula ist nicht in der Lage, den Umgang zwische der kranken Frau und ihrer jüngsten Tochter in seinem Wert einzuschätzen. Agnes Ward – später Mrs. Norris – unterstützt sie darin. Dass beide in ihrer vorgeblichen Strenge größtmögliche Egoistinnen sind, ist wohl klar – Ursula und Agnes vertragen sich prächtig. Hatty siedelt also um, ihre Mutter stirbt, ohne dass beide sich noch mal gesehen hätten und es laufen Gerüchte um, dass Lady Ursusla an Mr. Ward interessiert sei. Ihre Familie ist groß und verarmt – und sie ist nicht mehr die jüngste. Nach einigen Verzögerungen erreicht sie ihr Ziel.

Bei einem Familientreffen anlässlich einer Beerdigung trifft sie bei Hattys Pflegefamilie auf ihren ehemaligen Verlobten, Lord Henry Camber. Unversöhnlich ist sie. Er dagegen freundlich. Insgesamt ist er ein interessanter Charakter. Er will nichts von Standesunterschieden wissen, erweist sich als einfühlsamer, hilfsbereiter und humorvoller Zeitgenosse – Hatty mag ihn. Und er mag sie. Sein Projekt: Er will mit einer Gruppe von Gleichgesinnten nach Amerika auswandern und dort an den Ufern eines Flusses eine demokratisch organisierte Siedlung gründen und aufbauen.

Wie geht es Hatty in der Zeit? Sie hat sich mit einem ihrer drei Cousins angefreundet, wird von ihrer Tante sehr geschätzt und bemüht sich, den nachgeborenen Zwillingsschwestern im Haus, die offensichtlich geistig und körperlich beeinträchtigt geboren wurden, etwas Lebensfreude zu bringen. Ihre Schwester Fanny, die Maria und Thomas Bertram auf der Hochzeitsreise begleitet hat, kommt zu Besuch, freundet sich mit Familie Price an – alles Weitere über sie ist bekannt 😉 Harriet verschlägt es dann mitten im Winter auf den Heimweg in ihr Vaterhaus – aber statt dort zu landen, muss sie eines Schneesturms wegen im Cottage von Lord Camber unterkriechen und lernt völlig neue Ansichten kennen; hier fühlt sie sich wohl. Aber ihr Ruf … Lord Camber war nämlich noch nicht abgereist und im Haus (was bei Georgette Heyers Romanen immer durch die Gegenwart von Haushälterinnen entschärft wird – die gibt es hier auch, deshalb ist die Entrüstung der „lieben“ Verwandtschaft pure Heuchelei).

Hattys geheime Leidenschaft gehört übrigens der Poesie – sie schreibt Gedichte. Lord Camber ist begeistert. Hübsch ist dann die Pointe im allerletzten Brief, der aus unserer Zeit stammt 😉 (zu den Briefen gibt es unten noch einen Satz).

Es gibt noch weitere Handlungsstränge – und für mich gabs durchaus mal andere Ostereier als sonst zu finden:

  • Der philantropische Lord hat sein Pendant in einem der Romane von Georgette Heyer – Mr. Moore in „Der schweigsame Gentleman“ würde ein solches Projekt nur zu gerne ausführen, aber seine Gattin ist dagegen, aus pragmatischen Gründen. Solche Einwände gibt es auch hier, aber Lord Camber ist nicht zu bremsen.
  • Die Schwestern von Lady Ursula, die Hatty im Laufe der Geschichte zu unterrichten trachtet, erinnern in ihrer Zurückgezogenheit an die Brontë-Schwestern – allerdings wesentlich verstörter, boshafer und bei weitem weniger kreativ.

Joan Aiken hat einen durchaus dramatisch angehauchten Roman verfasst, der allerdings die Anbindung an Jane Austens „Mansfield Park“ offensichtlich vor allem zum „Schmuck“ braucht; dramaturgisch notwendig ist sie nicht. Gelegentlich streut Joan Aiken Briefe ein, um Handlungen näher ranzuholen, als es die Erzählperspektive erlaubt. Da sie diese Briefe immer in eigenen Kapiteln versammelt, funktioniert es ganz gut.

Joan Aiken: Die jüngste Miss Ward, übersetzt von Renate Orth-Guttmann, Diogenes Verlag, Zürich, 2000, ISBN: 978257233506

Dieser Beitrag gehört in meine Reihe „Beloved Jane“ zum 200. Todestag von Jane Austen im Juli.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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