Der Zauberlehrling von Erich Kästner

Der Zauberlehrling von Erich Kästner

Gut, ich habe nie das Gesamtwerk von Erich Kästner bewusst durchforstet – so sei es mir nachgesehen, dass ich von den Texten, die der Atrium-Verlag in diesem Band herausgibt, nie etwas gehört, geschweigen denn gelesen habe. Umso mehr freue ich mich, dass ich die Texte nun kenne 🙂

Es handelt sich um zwei Romanfragmente und einen Briefwechsel (eher ein „Briefwechselchen“) Kästners mit sich selber. Die Texte stammen aus den 30er Jahren, bzw. von 1940 – eine Zeit also, in der der vefolgte Autor nicht publiziern konnte.

Der früheste der drei Texte ist „Der Doppelgänger“ – ein Romananfang im Gefolge des „Fabian“ bzw. „Der Gang vor die Hunde“, der 1931 erschien. Ein Engel, der als Weinreisender auftritt, hindert die Hauptfigur am Selbstmord. Bei einem darauf folgenden Caféhausbesuch beobachtet dieser junge Mann – ein Schriftsteller, offensichtlich – seine Umgebung und mokiert sich über die Tatsache, dass er nur wenige Stunden nach seinem geplanten Tod Material für Roman und Essay sammelt. Der Engel kommt bei einem dort stattfindenden Selbstmord zu spät und beklagt den Personalmangel – offensichtlich wollen sich mehr Menschen ums Leben bringen, als es einsatzfähige Engel gibt. Neben der Leibesfülle ist ein Notizbuch des Engels Seibert markantestes Attribut. Anklänge an „Fabian“ finden sich hier vor allem in den Beobachtungen Karls.

1936 begann Erich Kästner dann den Roman „Der Zauberlehrling“ – Alfons Mintzlaff, seines Zeichens Kunsthistoriker, der für ein ruhiges Leben seine Professur aufgab, begegnet einem Mann, der sich Baron Lamotte nennt und Gedanken lesen kann. Die beiden führen im Laufe ihrer gemeinsamen Reise einige tiefschürfende Gespräche über das Leben; nach des Barons Ansicht  (dass er kein Baron ist, noch nicht einmal ein Mensch, muss hier nicht weiter ausgeführt werden) fügt sich Alfons Mintzlaff selber Schaden zu, weil er versucht, möglichst „ordentlich“ zu leben – ohne große Gefühlsaufwallungen, ohne Lachen, ohne Weinen. Erich Kästner entwickelt das Drama einer sich selbst abhanden gekommenen Figur, ohne dramatisch zu werden. Sein Sprachwitz ist gewohnt pointiert:

Sie sind es [Professor, H. B.] bereits nicht mehr, weil Ihnen, fanden Sie eines Tages, mehr daran liegt, im eigenen Kopf Ordnung zu schaffen als in nicht immer hierzu bestimmten fremden Köpfen (S. 30)

Erich Kästner 1961
Der Autor im Alter von 62 Jahren Basch, […] / Opdracht Anefo (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Erich_Kästner_1961.jpg), „Erich Kästner 1961“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode
Im Gegensatz zu dem Text mit dem Doppelgänger im Titel kommt hier tatsächlich eine „verdoppelte“ Person vor: Ein anderer hat sich unter dem Namen Mintzlaffs in Davos einquartiert und soll einen Vortrag halten. Das Fragment endet mit dem Abend im Kurhaus – auch wenn es ein sauberer Abschnitt ist, bleibt spürbar, dass das Buch noch nicht zu Ende ist. Die Figuren sind jedoch beereits wesentlich deutlicher konturiert als bei dem älteren Text und es gibt eine spannende Geschichte.

Die Briefe am Ende des Bandes stammen vom März 1940 – ein halbes Jahr nach Kriegsausbruch macht Erich Kästner Erich Kästner Vorschläge, wie er besser leben könnte; das Thema, sich von anderen eher fernzuhalten, passt zur Geschichte von Alfons Mintzlaff – und ich finde, sie machen deutlich, warum Erich Kästner nach dem Krieg keine Romane mehr verfasst hat (oder hat er neben „Der kleine Mann“/“Der kleine Mann und die kleine Miss“ und ich weiß mal wieder von nix?); sie wagen einen Blick – zugegebenermaßen einen literarisierten – ins Innere eines Menschen, der unter seiner Zeit leidet.

Es ist ein hübscher und lesenswerter kleiner Band.

Erich Kästner: Der Zauberlehrling, Atrium Verlag, Zürich, 2016, ISBN: 9783855353996

Stadtbibliothek Köln

  • In der Stadtbibliothek Köln gibt es ein Hörbuch mit den drei Texten, gelesen von Gerd Westphal und von 1998.
  • Die beiden Romanfragmente finden sich auch in den Gesammelten Werken (Band 2) von Erich Kästner

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

2 Comments

  • Maike

    22. November 2016 at 16:39 Antworten

    Schöne Besprechung, von diesen Romanfragmenten wusste ich gar nichts! Was Kästners (fehlendes) Romanschaffen nach dem Krieg betrifft: Außer den beiden „Der kleine Mann“-Bänden müsste eigentlich auch noch „Die Konferenz der Tiere“ nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein, wenn ich mich recht entsinne, aber wohl kein Roman für Erwachsene mehr (zumindest keiner, der mir jetzt spontan einfällt).

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