Der weiße Tiger von Aravind Adiga

Der weiße Tiger von Aravind Adiga

Statt selber nach Indien zu reisen, habe ich das Buch von Aravind Adiga verschlungen. Und dabei zumindest theoretisch mehr über Indien gelernt als bei einer Studienreise. Die praktische Anschauung fehlt halt. Und das Erlebnis – Gestank und Duft, Paläste und Slums, altes und modernes Indien nebeneinander.

Was erzählt Aravind Adiga?

Sein Leben? Nein, das von Balram Halwai. In sieben Nächsten schildert dieser in Briefen dem chinesischen Ministerpräsedenten Wen Jiabao, wie er als Sohn eines Rikschfahrers aus der „Finsternis“ – den bitterarmen Hinterland – zu einem Unternehmer wurde. Wen Jiabao soll nämlich Bangalore besuchen und das nimmt der weiße Tiger zum Anlass, um klarzumachen, wie es eigentlichin Indien aussieht und läuft. Er schildert seine Kindheit, die Familienverhältnisse – wer hat was zu sagen? sein Vater jedenfalls nicht … -, die Korruption, die politische Situation auf dem Dorf und die Aufstiegsmöglichkeiten. Die sind gering. Doch der weiße Tiger weiß sie zu nutzen.

Er arbeitete als Jugendlicher in einem Teehaus, er verdingt sich als Diener und lernt, lernt, lernt. Nicht Schulwissen. Sondern wie man vorankommt. Worauf es ankommt. Bevor er sich dann als Unternehmer niederlassn kann, wird er zum Mörder. Er mordet nur einmal, das aber gezielt und gekonnt. Dabei sieht er sich als liebenswerten und sozial verträglichen Menschen.

Wie erzählt Aravind Adiga?

Delhi aerial photo 04-2016 img11
Delhi – hierhin verschlägt es Balram als Fahrer. Sumita Roy Dutta, Delhi aerial photo 04-2016 img11, CC BY-SA 4.0
Der „weiße Tiger“ Balram stammt aus der untersten Schicht? Schad nix, mit dem Ministerpräsidenten von China verkehrt er auf Augenhöhe. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wird drastisch und böse. Manches für uns Unerhörte äußert er als Selbstverständlichkeit. Durch diese Figur spricht Aravind Adiga den Armen Indiens wohl aus der Seele – dabei ist er nicht völlig einer Meinung mit seinem Helden. Doch in Indien haben viele den Roman nicht als Literatur, sondern als Reportage, als journalistisches Werk gelesen, denn Aravind Adiga kürzt das Problem der Kasten radikal auf „Arm gegen Reich“ – die einen nennen ihn einen Nestbeschmutzer, die anderen sehen in ihm einen Kämpfer gegen die Armut im Land:

Herr Ministerpräsident, Ihnen erzähle ich sicher nichts Neues, wenn ich sage, dass die Geschichte der Welt die Geschichte eines zehntausendjährigen Geisteskampfes zwischen Reich und Arm ist. Jede Seite versucht ständig, die andere übers Ohr zu hauen: (…) , aber die Reichen gewinnen natürlich seit zentausen Jahren den Krieg. Daher haben einige weise Männer eines Tages aus Mitleid mit den Armen Zeichen und Symbole in Form von Gedichten hinterlassen, die sich dem Anschein nach um Rosen und hübsche Mädchen und dergleichen drehen, aber bei richtigem Verständnis die Geheimnisse offenbaren, die auch dem ärmsten Mann der Welt erlauben, den zehntausend Jahre alten Kampf der Köpfe zu seinen eigenen Bedingungen günstig zu beenden. (S. 252f)

Aravind Adiga erzählt mit Schmackes – temporeich, bildkräftig – und er konzentriert sich auf die dunklen Seiten des Lebens in Indien. Dabei gibt es durchaus einiges zu lachen.  „Der weiße Tige“ ist Literatur. Und hat 2008 den Booker Prize gewonnen. Zu Recht.

Aravind Adiga: Der weiße Tiger, aus dem Englischen von Ingo Herzke, dtv, 2008, ISBN: 9783423139397

Der Titel ist als Buch, E-Audio und als Hörbuch im Bestand der Stadtbibliothek Köln.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

3 Comments

  • monerl

    21. August 2018 at 11:21 Antworten

    Hallo Heike,
    oh wie schön, dass du dieses Buch nun gelesen hast! Ich habe es auch im Auge, suche nur noch die passende Zeit dafür. 😀 Ich liebe solche Literatur, die einem ein bestimmtes Land so näher bringen kann, wie es scheinbar dieser Autor konnte. Auf meinem SuB tummeln sich noch einige Romane über Indien.
    Einer meiner liebsten ist „Das Gleichgewicht der Welt“ von Rohinton Mistry. Ein echter Wälzer, der mich aber ins Herz getroffen hat! Absolut empfehlenswert. Ich habe es als ungekürztes Hörbuch gehört. HIER ist meine Rezension. Vielleicht kann ich dich für das Buch begeistern. 😉
    GlG, monerl

    • monerl

      21. August 2018 at 11:22 Antworten

      Ups, falscher Link oben! Sorry! HIER ist der richtige.

      • Heike Baller

        21. August 2018 at 12:01 Antworten

        Hi Monerl,
        vielen Dank für den Link. Schau ich mir gerne mal an. Nachddem der Nachwuchs nun aus Indien zurück ist, hab ich jede Menge Input zum Thema.
        Liebe Grüße
        Heike

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