Das Waldröschen – eine Gruselversion

Das Waldröschen – eine Gruselversion

Da hat sich doch 1964 ein Verlag nicht entblödet, einen Auszug aus „Das Waldröschen“ vorzulegen, der jeder Beschreibung spottet – und das zu einer Zeit, da Mays Texte noch nicht gemeinfrei waren. Es handelt sich um meinen neuesten Fund aus unserem offenen Bücherschrank.

Schon der Titel ist klasse:

Kalr May Das Waldröschen gekürzte Fassung Bearbeiter
Hier steht, wer für die Verstümmelung verantwortlich war
Kalr May Das Waldröschen gekürzte Fassung Cover
Die Figur auf dem Cover hat mit der Figur im Buch nicht die mindeste Ähnlichkeit – gut, das ist nicht unüblich

Immerhin: ’ne Quelle hat er angegeben:

Karl May Das Waldröschen gekürzte Fassung Quellenangabe
Daraus stammen also Textteile

Und so liest sich das dann:

Das Äußere Sternaus war jetzt so kriegerisch und gebieterisch, daß der Indianer nur das eine Wort sagte: „Kommt! Aber laßt Euer Pferd da, wir werden gehen. (S. 14)

Selbst der unbedarfteste von Karl Mays, äh, Herrn Dr. Rauschmüllers Lesern sieht, dass hier mehr als ein Wort gesagt wurde. Außerdem steht die Aussage in krassem Gegensatz zum Original:

Das Äußere Sternaus war jetzt so kriegerisch  und gebieterisch, daß es wohl Bedenken einzuflößen vermochte. Der Indianer schritt an ihm vorüber und sagte nur das eine Wort: „Kommt.“ Da er Sporen anden Stiefeln trug, fragte Sternau: „Seid Ihr beritten?“ – „Ja,“ sagte Büffelstirn (…) „Laßt Euer Pferd da, wir werden gehen.“ – „Warum?“ – „Ein Mann kann sich eher verbergen als ein Reiter (…).“ Der Bick des Mixteka leuchtete auf. Er sah ein, daß Sternau recht hatte. (Karl May: Das Waldröschen, Matavase, der Fürst des Felsens, Bd. 2, Verlag Neues Leben, Berlin, 1994, S. 61-62)

Tja, schließlich heißt die Bearbeitung „Büffelstirn“ – da muss er halt auch schlauer sein als so ein deutscher Westläufer.

Und so geht das die ganze Zeit:

  • Die Operation von Anton Helmers ist hier auf  wenige Zeilen zusammengedrängt, während Karl May selber so schwieriger Materie immer mal wieder ein paar Seiten einräumt – schließlich muss sich Karl Sternau als erstklassiger Arzt immer wieder versichern, dass die OP zum Erfolg geführt hat.
  • Dass Cortjo nach El Oro geflohen ist – bei Dr. Rauschmüller reichen da ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Zeilen, während im Original der Gedankengang und das Geschehen, die Cortejo beeinflussen, mehrere Seiten benötigen.
  • Die ganze Geschichte, wie Juarez den Haziendero Vandaqua liquidiert, ist gestrichen; ohne dass nur der Abstecher zur Hazienda erwähnt wird, kommt Juarez bei Arballez an und eröffnet ihm, dass er diese benachbarte Hazienda pachten kann, weil der Besitzer von Juarez hingerichtet wurde.

Einerseits hat mich die Unverfrorenheit amüsiert, andererseits aber auch höllisch geärgert. Wenn ich davon ausgehe, dass der Bearbeiter junge Leser (für Jungen ab 12 Jahren steht bei der Altersempfehlung) an Karl May heranführen will, kann ich ihm – freundlich ausgedrückt –  nur Ungeschicklichkeit attestieren. Wer so einen verstümmelten Text gelesen hat und dann noch Lust aufs Original haben sollte, wird  mit diesem heftige Probleme bekommen. Es ist viel komplexer, ausführlicher. Es gibt längere Sätze (außer an den wenigen Stellen, an  denen Dr. Rauschmüller tatsächlich mal mehr als Fragmente übernommen hat). Es stimmt der grobe Handlungsverlauf, die Namen sind dieselben – aber mit Karl Mays Waldröschen hat das nichts mehr zu tun. Noch nicht einmal, wenn man so tut, als wäre der Abschnitt eine eigene abgeschlossene Geschichte. Dass sie das nicht ist, wird sogar aus diesem Textfragment deutlich.

Ich hab mich übrigens gefreut zu lesen, dass meine Einschätzung dieses „Bearbeiters“ von Mitgliedern der Karl-May-Gesellschaft geteilt wird …

Sollten Sie sich jetzt fragen, was um alles in der Welt es mit dem Waldröschen auf sich hat – Sie können hier im Blog mit diesem Titel fündig werden. Und alle Beiträge zu „Das Waldröschen“ und den anderen Münchmeyer-Romanen finden Sie auch im dazugehörigen E-Book.

Karl May Das Waldröschen Der Fürst des Felsens
Beim Verlag Neues Leben umfasst „Matavase, der Fürst des Felsens“ zwei Bände – im Gruselbuch hat man einen Teil davon auf 120 Seiten eingedampft

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

2 Comments

  • Maike

    11. November 2017 at 22:38 Antworten

    Oh nein. Das könnte komisch sein, wenn es nicht so traurig wäre. Ganz gleich, was man auch Karl May manchmal vorwerfen mag, das hat er wirklich nicht verdient …

    • Heike Baller

      11. November 2017 at 23:03 Antworten

      Hätte jetzt gern ein Sternchen oder Herzchen zum Zustimmen.

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