Bisher kannte ich Petra Oelker nur mit ihren Krimis um Rosina, die im Hamburg des 18. Jahrhunderts spielen. Der Ort dieses für mich neuen Buchs ist derselbe, aber die Handlung spielt im Jahre 1905.
Das Ambiente hat sich geändert: Technische Neuerungen und soziale Änderungen allenthalben, auf die die verschiedenen Figuren völlig unterschiedlich reagieren.
Petra Oelker teilt die Handlung zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen auf. Die eine lebt wohl situiert an dem einen Ende Hamburgs, im Grünen, ruhig und vornehm. Es ist die Familie Wartberger, einmal Sidonie und Viktor und dann Victors Eltern Esther und Jakob, außerdem Viktors Jugendfreundin, die verwitwete Ellen Tessner, und die Familie Blessing. Sidonie und Viktor leben im Anbau der Villa der Blessings. Sidonie versinkt nach ihrer zweiten Fehlgeburt in eine tiefe Depression.Viktor bietet ihr nach der schlimmsten Phase an, einen Malkurs bei einem renommierten Lehrer zu absolvieren. Claire Blessing richtet für Sidonie in einem abgelegenen Raum des gemeinsamen Hauses ein Atelier ein.
Die Ereignisse rund um Sidonie werden unterbrochen durch die Szenen, in denen Dora Lenau die Hauptrolle spielt. Jahrelang hat sie mit Tante und Cousin im berüchtigten Gängeviertel Hamburgs gelebt. Bei der Choleraepidemie vierzehn Jahre zuvor hatte ihre Tante Anna ihren Mann und die kleine Tochter verloren. Sie hat Dora als Tochter ihrer Schwester an Kindes Statt angenommen. Ihr Sohn Theo hat nach längerer Arbeitslosigkeit eine gut bezahlte Stelle gefunden. So konnten die drei aus dem Gängeviertel wegziehen. Als Leserin erfahre ich früher als Mutter und Cousine, dass Theo ein Polizeispitzel ist. Zu seinem Charakter: sympathisch geht anders. Dora arbeitet in einer kleinen Manufaktur als Näherin, ihre eigene Ambition ist das Entwerfen moderner Kleidung.
Klar, dass die beiden Frauen sich kennenlernen und einige Gemeinsamkeiten entdecken. Beide erleben mehrere Wendungen im Verlauf der Geschichte – diese Story um zwei unterschiedliche Frauen folgt dabei bekannten Mustern, die Petra Oelker gekonnt erzählt. Fast spannender sind dabei die Entwicklungen der anderen Figuren. Einen besonderen Narren habe ich an Jakob, Victors Vater, gefressen, der mit seinen Gedanken zu Gott und der Welt mich sehr mitnimmt in seine Zeit, eine Umbruchzeit. Die vermehrten Rechte für jüdische Bürger und der gleichzeitig ansteigende Antisemitismus gehört mit zu seinen Überlegungen. Es wird Sie nicht überraschen, dass Theo von der Emanzipationn der Juden so gar nicht wissen will.
Dramatik gibt es auch – für einzelne Figuren sowieso, aber auch für die Stadt Hamburg. Ähnlich wie in „Die Orangerie“ bildet die Stadtentwicklung Hamburgs den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund für die Handlung um Sidonie und Dora. Hinzu kommen Auseinandersetzungen um moderne Kunst: Picasso wird genannt, Sidonie besucht die van-Gogh-Ausstellung und Edvard Much hat einen stummen Gastauftritt 😉
Peter Oelker legt einen gut erzählten und interessanten historischen Roman vor, der anhand persönlicher Konflikte und Veränderungen seiner Figuren die Themen, die in Hamburg um 1905 im Vordergrund standen, vermittelt.
Petra Oelker: Das klare Sommerlicht des Nordens, Rowohlt Polaris, Reinbek bei Hamburg, 2014, ISBN: 9783499267772
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