Cox oder Der Lauf der Zeit von Christoph Ransmayr

Cox oder Der Lauf der Zeit von Christoph Ransmayr

Zu meiner Schande sei es gesagt: Ich kannte bisher nix von Christoph Ransmayr. Aber jetzt! Im Rahmen dieses Buchvorstellungsabends, an dem ich „Herr Müller …“ von Ewald Arenz vorstellen durfte, bekam auch „Cox oder Der Lauf der Zeit“ eine Bühne.

Worüber schreibt Christoph Ransmayr?

Christoph Ransmayr hat analog zu dem echten Uhrmacher James Cox aus dem 18. Jahrhundert seinen Alistar Cox entwickelt. Ihm hat er einen Lebenslauf auf den Leib geschneidert – und dazu gehört der Auftrag, dem Kaiser von China Uhren und Automaten nach dessen Vorstellungen zu bauen. Dafür reist Alistar Cox mit drei Mitarbeitern nach China.

Das Buch hat mehrere Ebenen. Einmal die Geschichte, die Cox & Co in Beijing und Jehol erleben. Das exotische Leben am chinesischen Kaiserhof mit strengen Regeln und einer Fülle an Material, von der die Uhrmacher in London nur träumen konnten. Christoph  Ransmayr lässt die Gefahren, die den Fremden drohen, en passant mitschwingen. Wochenlang muss Alistar Cox die ganzen Verhaltensregeln lernen, die im Umgang mit einem gottgleichen Kaiser lebensrettend sind.

Und dann, nach Wochen gibt es den ersten Auftrag.

Nächste Ebene: Was der Kaiser von China will, ist mehr als eine Uhr oder zwei oder drei. Er will eine Uhr, die zeigt, wie einem Kind die Zeit vergeht. Oder einem zum Tod Verurteilten. Und dann will er eine, die immer und immer weiter geht – ein Perpetuum Mobile. Und Alistar Cox  – er fühlt sich dem Kaiser verbunden, dem niemand in die Augen schauen darf. Das ist eine Entwicklung, die sich auch darin äußert, dass der unnahbare Kaiser im Kontakt zu der Langnase immer mehr Nähe zulässt, sich einmal sogar quasi „allein“ mit ihm trifft. Hier wirds dann philosophisch – Nachdenken über Zeit und was sie mit Menschen macht, auch mit Menschen gottgleichen Anspruchs.

Dabei muss ihnen (den englischen Gästen des chinesischen Kaisers, H. B.) wohl entgangen sein, daß (!) einer, der alles besaß, auch das Kostbarste einfach vergessen kann, ohne daß er etwas vermißte (!), ja, daß er dabei manchmal sogar die Zeit vergaß, die doch auch für eine Unsterblichen unwiederbringlich verging. (S. 149)

Die beschriebenen Uhren sind so was von faszinierend – sowohl, was die Materialien als auch was die Mechanismen betrifft. Hier hab ich mal ein paar Beispiele:

Uhr Cox Christoph Ransmayr
Diamanten Rubine, Smaragde, Gold, Silber und Emaille werden als Materialien genannt. Das gute Stück steht im Metropolitan Museum of Art
Cox Uhr Christoph Ransmayr
Hier kann man die filigrane Goldschmiedearbeit erkennen. Es ist eeine Uhr in Form eines Miniatursekretärs aus Achat, mit Gold, Perlen und Edelsteinen

Und jetzt kommt das Highlight:

Peacock Clock Cox Christoph ransmayr
Das ist eine Uhr von James Cox. Antonio Zugaldia, Peacock Clock, CC BY 2.0
Diese Uhren hat James Cox gebaut. Solche Uhren hat bei Christoph Ransmayr auch Alistar Cox gebaut.

Eine Uhr, die länger läuft als der Herr der 10.000 Jahre lebt, ist brandgefährlich. Der Übersetzer, der zwischen Cox und der chinesischen Umwelt vermittel, macht es Cox klar. Erfindungsreich wie Alistar Cox ist, findet er eine Lösung. Am Ende befindet er sich auf der Heimreise, hoffnungsfroh.

Noch ’ne Ebene: Was ist Alistar Cox für ein Mensch? Seine fünfjährige Tochter Abigail ist vor zwei Jahren verstorben. Er trauert um sie. Immer ist sie in seinen Gedanken – die Uhr, die die Zeit nach Kinderempfinden misst, ist ihm sehr wichtig. Sie als Segelschiff zu gestalten, da steckt Abigail dahinter, die die Segeschiffe auf der Themse immer so faszinierend fand. Um sie anzutreiben bedarf es der Luft – des Windes; ohne Luftbewegung steht sie still.

Auch seine Frau hat Alistar Cox durch den Tod von Abigail verloren – seit dem Tod des Kindes ist sie verstummt. Noch ein Verlust, der ihn ständig begleitet. Die Uhr mit der Kinderzeit ist sein Ausdruck seines Verlusts.

Merlin lächelte: Ein mit dem Chaos verknüpftes Uhrwerk als Kinderspielzeug …, das war der Meister, wie er ihn aus England kannte. Das war Cox. Und das war, wie fast jeder der Automaten, die Cox in der Vergangenheit erdacht hatte, auch ein bißchen (!) verrückt, schließlich mußte (!) diese Kostbarkeit entweder unter freiem Himmel stehen, wo der Wind sie mit seinen Brisen oder Böen erreichte, oder im Kreis von Dienern und Sklaven, die mit ihrem Atem die Segel der Dschunke blähten und so auch daran erinnerten, daß (!) einem Kind das Leben nicht bloß geschenkt. sondern bewahrt werden mußte (!). (S. 92)

Und dann gibt es da in China einen Moment, der ihm deutlich macht, was Ewigkeit bedeuten kann: Einen Moment, der so voll ist, so eins mit der Welt, dass alles Messen vergeblich ist.

Wie schreibt Christoph Ransmayr?

Grandios 🙂 Detailliert und sorgfältig sowohl bei der Schilderung äußerer Ereignisse wie der Herstellung der Uhren, dem Ablauf der Zeit als auch beim Eintauchen ins Innerste der Figuren. Das Lesen erfordert Aufmerksamkeit, weil nicht immer durch Satzzeichen klar gemacht wird, wo ich mich gerade befinde: Direkte Rede, innerer Monolog und das dann bei wem, Alistar, dem Übersetzer, einem der Mitarbeiter, bei den Hofleuten? Oder ist es der Erzähler? Die notwendige gesteigerte Aufmerksamkeit macht aber auch die sprachlichen Finessen deutlich. Ich habs als Genuss empfunden. Ein paar Beispiele habe ich ja schon gebracht – die Sätze sind oft komplex, folgen aber einem intuituv anmutenden Rhythmus. Satzzeichen werden mehr nach emotionalem als nach korrektem Wert eingesetzt.

Christoph Ransmayr: Cox oder Der Lauf der Zeit, Frankfurt/Main, S. Fischer Verlag, 2016, ISBN: 9783100829511

Aktualisierung vom 24.3.2018:

Das Buch gibt es auch in der Stadtbibliothek Köln:

Als Buch und als Hörbuch.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

2 Comments

  • monerl

    23. März 2018 at 14:52 Antworten

    Liebe Heike,
    dir ist zu diesem Buch eine sehr, sehr schöne Besprechung gelungen. Ich habe es noch nicht gelesen, es liegt noch auf meiner Wunschliste! Aber jetzt habe ich große Lust es gleich zu kaufen und zu lesen! Danke auch für die Bilder. Nun kann ich mir solche besonderen Uhren vorstellen. Unglaublich, was für Künstler es so gibt!
    GlG vom monerl

    • Heike Baller

      23. März 2018 at 18:56 Antworten

      Danke für Deine Lob. Ein so komplexes buch ist ja immer eine Herausforderung.
      Ja, diese filigranen Kunstwerke haben mich auch sehr beeindruckt. Und Christoph Ransmayr holt sie unauffällig nah ran.
      LG
      Heike

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