Da hat mich doch Jens Rosteck mit seinen detaillierten Paraphrasen des letzten Albums von Jacques Brel dazu gebracht, in meinem alten Platten zu wühlen – und ja, ich habe diese Platte auch. Damals bin ich mit ihr nicht klar gekommen – wahrscheinlich auch, weil im Gegensatz zu den anderen Alben in meinem Besitz (Vesoul, Amsterdam, Ne me quitte pas) die Texte nicht mit abgedruckt waren.
Aber hier geht es nicht um mein mittelmäßiges Französisch , sondern um die Biografie des Mannes, den Jens Rosteck eine Insel nennt: „Der Mann, der eine Insel war“, dieser Untertitel gibt die Richtung vor.
Einerseits folgt Jens Rosteck dem Leben Brels chronologisch, andererseits weitet er in einigen Abschnitten den Blick über den aktuell bearbeiteten Zeitraum aus. „Jacko“ war schon ein merkwürdiger Junge, schon fast klischeehaft der schlechte Schüler und gute Schauspieler. Seine ersten musikalischen Gehversuche waren nicht besonders Erfolg verheißend – und dieser Erfolg ließ dann auch verdammt lange auf sich warten. Nach seiner Übersiedlung nach Paris tingelte Jacques Brel jahrelang auf den Kleinkunst- und Kabarettbühnen der französischen und belgischen Provinz. Der Weg vom sich selbst auf der Gitarre begleitenden Sänger zum mit kongenialen Arrangements gestützten Bühnenereignis war lang, mühsam und steinig. Geholfen haben ihm dabei die Freunde, die an sein Potenzial glaubten. Lediglich fünf Jahre lebte Brel als umfeierte Größe der Chanson-Welt. Dann nahm er seinen Abschied von der Bühne. Dass er ging, war seine eigene Entscheidung. Angst davor, in Routine zu erstarren, so erläutert Jens Rosteck den für alle überraschenden Entschluss. Er passt zu anderen Merkmalen seiner Karriere, zum Beispiel nie, nie, nie eine Zugabe zu geben. Das gilt auch für seinen letzten Auftritt.
Als Mensch zum Miteinander-Leben war Jacques Brel kein einfacher Fall. Seine Frau Miche und die gemeinsamen Töchter bekamen ihn nach seiner Abreise in Richtung Paris nur sehr gelegentlich zu sehen. Statt ihrer begleitete eine große Anzahl verschiedener Frauen den Lebensweg des Sängers. Die letzte hieß Maddly und lebte mit ihm seinen Traum auf einer fernen Insel.
Nach seinem Abschied von der Bühne versuchte sich Jacques Brel in verschiedenen anderen Genres:
- er brachte das Musical „L’homme de la Mancha“ mit sich selbst als Titelfigur auf die französische Bühne
- er spielte als Schauspieler in verschiedenen Filmen mit
- er versuchte sich selbst als Regisseur und Produzent
- außerdem erwarb er sowohl eine Kapitäns- als auch Pilotenlizenz
Die beiden letztgenannten Fähigkeiten bestimmten sein Dasein in den letzten Lebensjahren: Zusammen mit Maddly begab er sich mit seiner Yacht auf eine Weltumsegelung, die auf Hiva Oa in Polynesien endet. Hier leben die beiden von der Presse unbehelligt. Jacques Brel richtete mit einem eigenen Flugzeug eine eigene Fluglinie zur nächstgrößeren Insel ein.
Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits an Lungenkrebs erkrankt. Er begibt sich in die Behandlung eines Arztes, der gute Heilungschancen sieht, doch die Flucht vor Paparazzi in einem Flughafen – Jacques Brel verbarrikadiert sich in einer ungeheizten Toilette – führt zu einer tödlich verlaufenden Erkältung.
Jens Rosteck schildert nicht nur das Leben dieses Ausnahmekünstlers mitreißend, sondern befasst sich in besonderer Weise auch mit den Texten, ihrem poetischenn Gehalt und, als Musikwissenschaftler verständlich, mit den Charakteristika der brelschen Musik. Sehr erhellend. Eine lesenswerte Biografie. Und bei uns läuft wieder mehr Musik von Brel – nach Jahren 😉
Jens Rosteck: Brel. Der Mann, der eine Insel war, mareverlag, Hamburg, 2016, ISBN: 9783866482395
Maike
25. Mai 2016 at 10:16Wie nett, wenn eine Lektüre auch zu (alt-)neuem Musikgenuss führt! Was singende Franzosen angeht, bin ich zwar zugegebenermaßen eher Georges-Brassens-Fan, aber das Buch klingt trotzdem sehr spannend, und dass es dich gleich zum Griff in die Plattensammlung verleitet hat, finde ich, wie gesagt, sehr schön.
Maike
25. Mai 2016 at 10:16P.S.: Korrektur: Bzw. französischsprachig singende Leute (aber ich nehme an, das hast du richtig verstanden ;)).
Heike Baller
25. Mai 2016 at 12:06Hab ich. Danke. 🙂