Ans Meer von René Freund

Ans Meer von René Freund

Ein richtiges Sommermärchen hat er da geschrieben – René Freund mischt munter Zutaten verschiedener Epochen und Genres, um sein Märchen bunt und spannend zu erzählen.

Was erzählt René Freund?

EIn Roadmovie der anderen Art – mit diesem Personal:

  • Anton, Busfahrer, von einer Helikoptermutter bedrängt aus einer Zeit, als es das Wort noch nicht gab – wächst über sich hinaus
  • Doris, Antons Nachbarin, hat den schüchternen Mann in die Flucht geschlagen und versucht, ihn wieder einzufangen
  • Carla, Mutter von Annika, dem Tode nahe und mit der Sehnsucht nach dem Meer in ihrer Heimat – sie setzt alles in Gang
  • Annika, elf Jahre alt, weiß, dass sie ihre Mutter bald verlieren wird
  • Eva, 17 Jahre alt, fürsorglicher Gruftie
  • Ferdinand, 17 Jahre alt, von Verantwortungsbewusstsein zerfressen gegenüber seiner kleinen Schwester – macht anfangs nur widerwillig mit
  • Frau Prenosil, völlig dement und nur zufällig mit von der Partie
  • Helene, Ferdinands Schwester und Annikas Freundin, ein Mädchen mit Durchsetzungsvermögen
  • Totti,ein Kaninchen

Gabicce Monte e Vallugola visti da Gabicce Mare zu René Freund "Ans Meer"
Carlas Bucht an der Adria ist kleiner und unverbauter – auch etwas aus der Zeit gefallen. Foto: Lokyam, Gabicce Monte e Vallugola visti da Gabicce Mare, CC BY-SA 3.0
Das ist die Reisegruppe auf dem Weg nach San Marco in der Nähe von Duino – die sterbende Carla überredet Anton, den klapprigen gelben Linienbus an diesem Tag nach Italien zu chauffieren. Für mich als Beinahe-Nordlicht ist der Gedanke befremdlich, innerhalb von 5 Stunden an der Adria sein zu können – aber von Österreich aus …?

Hier haben wir schon so eine Vermischung: René Freund kann erklären, wie es kommt, dass ein so vorsintflutliches Gefährt die Straßen Österreichs durchjuckelt – es belibt dabei: Der Bus ist nicht aus dieser Zeit. Seine techische Ausstattung ebenfalls nicht. Dafür aber die der Menschen: Handys mit Ortungssystem und den verschiedensten Klingeltönen spielen mindestens eine so große Rolle wie das gelbe Ungetüm. Ach ja, und das andere Gefährt in der Geschichte ist voll aus unserer Zeit: 410 PS …

Die bunt zusammengewürfelte Reisegruppe bietet jede Menge heitere und nachdenkliche Kleinstgeschichten; bei einer Gruppe von Schulkindern nicht verwunderlich, spielt gerade das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern eine große Rolle. Und davon ist Anton nicht ausgenommen. Dorie ebensowenig, übrigens.

René Freund erzählt zudem die vorsichtige Annäherung zwischen Anton und Doris in deren Rückblicken.

Auf die ein oder andere Weise findet dieser Geschichte eine Menge Emanzipation statt. Ist doch klar, dass sich Eva um Frau Prenosil kümmert, oder? Helene kommandiert ihren Bruder rum – Freundin Annika geht vor und wenn die nach Italien fahren muss, gibt’s kein Vertun, da muss sie mit. Ferdinand seinerseits macht so ein paar Entdeckungen an sich selbst. Annika erweist sich als erfahrene Pflegerin ihrer Mutter. Also einige Elemente von Entwicklungsgeschichten haben wir hier, daneben die – unglückliche? – Liebesgeschichte von Anton und Doris. Für jeden was dabei 😉

Und dann sind da noch die Hippies – ein bisschen aus der Zeit gefallen, wie der Bus. Und die italiensiche Polizei …

Wie erzählt René Freund?

In der Perspektive wechselt er zwischen Anton und Doris. Er startet mit Doris‘ unerklärtem hastigen Aufbruch mit einem 410-PS-Auto. Erst danach lerne ich Anton kennen, mitsamt seinen Gedanken rund ums Busfahren:

Seinen Kindheitstraum, Busfahrer zu werden, hatte die Realität dieses harten Berufes an die Wand gefahren. (S. 9)

René Freund schildert detailliert, liebevoll und illusionslos, was so ein Busfahrer machen und beachten muss. Genauso schildert er das Engagement Antons, seinen schulpflichtigen Fahrgästen ein Mindestmaß an Manieren abzufordern – wer nicht grüßt, muss den Fahrausweis vorzeigen. Immer wieder finden sich in der stetigen Erzählung kleine sprachliche Schmuckstücke.

Schön find ich diese Schilderung (ich muss mich ja leider beschränken):

Hinter dem Steinwall, der den Strand abgrenzte, sahen sie zwei Gesichter auftauchen, mit blau-weißen Kappen. Und unter den Kappen wuchsen langsam die beiden Uniformen in den Himmel, (…) (S. 134)

Eine wirklich schöne Urlaubslektüre, ein Sommermärchen halt.

René Freund: Ans Meer, Deuticke Verlag, Wien, 2018, ISBN: 9783552063631

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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