Achtsam morden von Karsten Dusse

Achtsam morden von Karsten Dusse

Da ist dem Rechtsanwalt und Sachbuchautor Karsten Dusse wirklich ein tolles Romandebut geglückt. Selten so viel gelacht bei einem Buch, das sich „ein entschleunigter Kriminalroman“ nennt. Allerdings kann einem das Lachen auch im Halse stecken bleiben.

Was erzählt Karsten Dusse?

Keinen Krimi mit „wer war wann wo und wer hat den Mord begangen?“. Das ist von Anfang an klar:

Eins vorweg: Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Ganz im Gegenteil. Ich habe mich zum Beispiel in meinem ganzen Leben noch nie geprügelt. Und den ersten Menschen habe ich auch erst mit zweiundvierzig Jahren umgebracht. Was, wenn ich mich so in meinem heutigen beruflichen Umfeld umsehe, eher spät ist. Gut, in der Woche darauf hatte ich das dann schon fast das halbe Dutzend voll.

S. 9

Da bleiben wenig Fragen zum „Whodunnit„.

Der erste Text, denn ich zu lesen bekomme, ist aber nicht dieses – sagen wir – „Geständnis“, sondern eine Achtsamkeitsweisheit des Mannes, bei dem Björn Diemel, die Hauptfigur, das lernt, was ihn durch die kommenden 410 Seiten tragen wird: Achtsamkeit.

Björn, ein überarbeitetere Anwalt, dessen Hauptmandant ein Mafiaboss ist und dessen Aussichten, in seiner Kanzlei als Partner zu reüssieren, deswegen gegen Null tendieren. bekommt von seiner Frau die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn er es nicht schafft, mehr Zeit mit seiner Tochter zu verbringen, dann wird er sie nie wieder sehen. Helfen soll dabei ein Achtsamkeitscoach. Das ist dann auch die erste Szene. Björn lernt atmen. Alle Kapitel haben einen Satz zu Achtsamkeit als Vorspann, der dann in der jeweiligen Szene vorkommt. Ob der Coach die Sachen allerdings so gemeint hat, wie Björn sie – sehr erfolgreich – umsetzt …? Ich hab da so meine Zweifel.

Von der „Krimi-Handlung“ will ich jetzt gar nicht so viel verraten. Es geht um ein Verbrechersyndikat, dessen Boss Björns Mandant ist – und sein erstes Opfer. Dazwischen spielt das Leben eines Mannes, der die – häufiger werdenden – Zusammenkünfte mit seiner zweieinhalbjährigen Tochter genießt und sich den Problemen gegenüber sieht, die junge Eltern in unserer Gesellschaft so haben – z. B. die Suche nach einem Kindergartenplatz.

Aquarell See passsend zu einer Szene aus dem Buch von Karsten Dusse
An einem solchen See verbringt Björn Diemel eine wunderbar entspannte Zeit mit seiner Tochter – und kurz darauf eine sehr arbeitsintensive. Bild: H. Baller

Wie erzählt Karsten Dusse?

Sehr sehr witzig – ich habe oft schallend gelacht. Natürlich birgt die Kombination von „ich begehe ein Verbrechen“ und „ich lebe achtsam“ eine Menge Potential – und Karsten Dusse schöpft das voll aus. Ich hab mir einige Szenen markiert, muss mich hier aber leider beschränken – Sie bekommen drei Appetitthäpchen:

Pro Zentimeter Silikonmasse rechnet man mit vierundzwanzig Stunden Trockenzeit. (…) Ein Raum mit hoher Luftfeuchtigkeit bei um die zwanzig Grad würde das Aushärten unterstützen. Ich ließ also im Bad ein wenig die Dusche laufen und bat meine Heizung, die Dampfwolke bei zwanzig Grad bei Laune zu halten.

S. 164

Ein Haufen Arbeit wird nicht weniger, wenn man ihn sich anguckt.

S. 113

Der erste Schritt zu einer guten Lösung ist, überhaupt erst einmal ein Problem zu haben.

S. 297

Der letzte Satz gehört zu den Weisheiten des Achtsamkeitscoachs.

Wortspiele und Szenen, die nur im Kontext witzig sind, wechseln sich mit ruhigen Erzählpassagen ab. Es gibt auch die ernsthaft nachdenklichen Momente – doch durch das grundlegende Missverhältnis der beiden Hauptstränge – organisiertes Verbrechen und Mord auf der einen, Achtsamkeitsübungen auf der anderen Seite – birgt jede Nachdenkerei komisches Potential.

Wenn andererseits dann grausame Szenen durch die Achtsamkeitsmethoden Björns für ihn ihren Schrecken verlieren, muss das für mich als Leserin nicht gelten – da hab ich durchaus manchmal geschluckt (ich bin nicht so die Splatter-Freundin).

Alles in allem eine erheiternde und spannende Lektüre. Ich hatte wirklich Spaß an der Geschichte.

Karsten Dusse und die Achtsamkeit

Auch wenn die Geschichte aus der geschilderten Diskrepanz lebt: Achtsamkeit ist Karsten Dusse wichtig. Das betont er auch noch mal im Nachwort. Und ich habe mich dabei ertappt, einige der Anregungen – besonders die zum Atmen – beim Lesen zu testen.

Das ist jetzt alles nix Neues oder Weltbewegendes im Sinne der tollsten Methode. Aber in diesem besonderen Kontext bekommen Tipps, wie, sich drei gute Dinge vorzustellen, um dankbar zu sein, ein anderes Gesicht – denn schon bei dem Vorspann zu einem Kapitel ist klar, dass Björn Diemel das ganz anders „umsetzen“ wird, als es gedacht wurde. Eine Reibung, die ich wahrgenommen habe – sie ist aber zum Genuss des Buches nicht zwingend.

Dicke Kritik!

Woran ich keinen Spaß hatte, aber wirklich gar keinen, war die schelchte Betreuung des Buches in Hinblick aufs Korrekturlesen. Ständig werden „Ihre“ und „ihre“ verwechselt, Adjektive groß geschrieben und andere vermeidbare Fehler begangen. Das ist unschön. Auf diesen Aspekt des Inhalts zwischen den Buchdeckeln so viel Energie zu verwenden wie auf das aufwendige Cover (die Steine auf dem Bild sind kunstvoll angeraut), ist nicht zu viel verlangt. Sottise vom 23.6.2020: Ein bisschen mehr Achtsamkeit …?

Karsten Dusse: Achtsam morden, Heyne Verlag, München, 2019, ISBN: 9783453439689

Die Stadtbibliothek Köln hat den Titel als Buch und als Hörbuch im Bestand.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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