Die Münchmeyer-Romane von Karl May – Deutsche Herzen – Deutsche Helden

Die Münchmeyer-Romane von Karl May – Deutsche Herzen – Deutsche Helden

Unter der Angabe, dieses Buch stamme vom selben Autor wie „Das Waldröschen“ und „Der verlorene Sohn“, startete im Dezember 1885 die Veröffentlichung des vierten der fünf Münchmeyer-Romane von Karl May. Die Anmerkung zum Autor ist nicht nur der Werbewirksamkeit wegen sinnvoll – „Das Waldröschen“ war ja ein großer Erfolg -, sondern auch die quasi weltumspannende Handlung erinnert an den ersten Lieferungsroman von Karl May. Neben den bekannten Schauplätzen im Orient und in Amerika kommt hier noch Sibirien ins Spiel.

Der Inhalt

Wollte man die Handlung kurz zusammenfassen, liefe es wohl auf „Familienzusammenführung“ hinaus. Die Handlung setzt in Istanbul ein, wo wir Zeugen eines Racheschwurs und zwei Jahre später der Freude über den geglückten Anschlag werden. Ibrahim Effendi bringt wegen des Todes seines Vaters die Familie Albans von Adlerhorst ins Unglück: das Familienoberhaupt muss sterben, Frau und Kinder werden auseinandergerissen. Sein „Partner in Crime“ ist ein Derwisch. Erst in der Handlung, die zweieinhalb Jahrzehnte später einsetzt, erfahren wir, dass dieser Derwisch die Hierarchie andersherum interpretiert – Ibrahim Effendi sei sein Werkzeug der Rache.

Die Handlung spielt nun hintereinander in drei Weltgegenden, bis sie am Ende in Deutschland zum guten Schluss geführt wird.

Der erste Part spielt in Istanbul, in Kairo und in der Wüste. Neben den schon vorgestellten Schurken spielen Hermann Wallert, der eigentlich ein von Adlerhorst ist, sein Freund, der Maler Paul Normann, die Sklavinnen Tschita, Zykyma und Gökala mit, so wie, als komische Figur, Lord Eagle-nest – mit den Adlerhorsts verwandt, wie der Name andeutet. Und dann gibt es noch den „großen Helden“ Oskar Steinbach, der plötzlich auftaucht und am Geschehen lebhaften Anteil nimmt, ja, sich die Führung einfach anmaßt. Im Laufe der verwickelten Handlung gibt es Mordanschläge, Entführungen und Enthüllungen in Fülle. Die „Guten“  verfolgen Ibrahim Pascha, wie er inzwischen heißt, und den Derwisch. Neben Personen, die ihnen helfen – oder denen sie helfen -, treffen sie auf den Schurken Graf Polikeff, der den Vater Gökalas ins Unglück stürzte – hier gibt es schon erste Verweise auf den dritten Teil, der in Sibirien spielt. Tschita entpuppt sich als Schwester Hermanns, Zykyma kann von einem Adlerhorst berichten, den sie in Russland getroffen hat – es gibt also erste Schritte auf dem Weg der Familienzusammenführung. Daneben aber auch die Begegnung des spleenbehafteten Lords

Oskar Steinbach trifft auf einen heuchlerischen Greis in der Wüste
Oskar Steinbach trifft auf einen heuchlerischen Greis in der Wüste

mit Prostituierten, einen Kampf in der Wüste, Verfolgung zu Wasser und zu Lande und immer wieder das knappe Entwischen der beiden Männer, Derwisch und Pascha, die Auskunft über das Schicksal der Familie geben könnten.

Obwohl die ersten Hinweise über den Verbleib eines weiteren Familienmitglieds nach Russland zeigen, spielt der zweite Teil in Amerika. Allzu einfach wird es den Lesern der Münchmeyer-Romane ja bei der Chronologie oder den Ortswechseln nie gemacht. Als Einstieg dient ein Trio von Westmännern, die so stark an das „Kleeblatt“ von Sam Hawkens, Will Parker und Dick Stone erinnert, dass der Karl-May-Verlag in seiner Ausgabe Sam Barth und die Brüder Jim und Tim Snaker durch die populäreren Männer ersetzt. Sie verhindern zwar einen Brandüberfall auf die Plantage der Familie Wilkins, auf der ein Martin Adler (!) arbeitet, können aber den Verlust der Plantage durch eine Kaufurkunde nicht verhindern. Einige Zeit später begegnen die drei Westläufer einer von denselben Banditen ausgeplünderten Siedlerfamilie – zufälligerweise 😉 ist Sam Barths Jugendliebe als verwitwete Frau darunter – und erlauschen einen weiteren Raubüberfall auf die „Taube des Urwalds“. Dies nun ist Amy Wilkins – die Tochter des Plantagenbesitzers aus den vorhergehenden Ereignissen. Die Banditen haben sich mit Indianern verbündet. Es erscheinen Oskar Steinbach und Hermann von Adlerhorst und nun geht es so richtig los: Es gibt ein junges Mädchen als Gefangene bei den Indianern, die aussieht wie Tschita, die Schwester Hermanns. Sie wird befreit und erzählt von ihrem Dasein in einer unteririschen Mine, die der neue Schurke des Geschehens, Roulin, betreibt und erwähnt ihre Mutter (Tschita sprach auch von ihrer Mutter, aber das war ihre Amme) – die Mine ist klar das nächste Ziel der Helden,

Bei der Verfolgung der Schurken schießt einer der Schurken auf Sam Barth
Bei der Verfolgung der Schurken schießt einer der Schurken auf Sam Barth

wenn  die Angriffe auf  Amy und ihren Vater zurückgeschlagen sind. Der bisherige Derwisch taucht auch auf und wird als ehemaliger Kammerdiener der Familie Adlerhorst mit Namen Florin enttarnt; seine unerwiderte Liebe zur Mutter von Hermann, Tschita, Martin, Georg und Magda – das sind die vier Kinder – war offensichtlich die Ursache für seinen Rachefeldzug. Mit vielen Volten schafft es Karl May, die Befreiung der Guten – Magda, ihre Mutter, deren treuen Diener, Martin und den Neffen von Wilkins – und die Bestrafung einiger Schurken zu einem glücklichen Ende zu führen. Durch die Dummheit des Schwagers von Sam Barths Jugendliebe Auguste können jedoch die Hauptschurken entkommen; logisch, sonst ginge es ja auch nicht weiter.

Als nächstes sehen wir Sam Barth und die Snakers in Sibirien (aha, deshalb also der amerikanische Teil: Sam musste vorgestellt werden) – schon bei ihrem Einzelauftritt wird klar, dass sich hier ein Stelldichein anbahnt: der Kosak Nummer 10 ist eindeutig Georg, der letzte der Geschwiser von Adlerhorst; dann gibt es noch einen geheimnisvollen Kosaken Nummer 5 – er entpuppt sich als Gökalas Vater. Florin taucht als Kaufmann Lomonow auf, Graf Polikeff erscheint mit Gökala und dann taucht auch Oskar Steinbach auf – alle sind da und es kann losgehen. Zum originär sibirischen Personal gehört der Bezirkshauptmann mit seiner Familie; sein Sohn, ein Rittmeister, soll die Tochter eines tungusischen Fürsten heiraten, aber diese Karpala will von dem Hallodri nichts wissen, freundet sich mit Sam an

Karpala kooperiert mit Sam und den Snakers
Karpala kooperiert mit Sam und den Snakers

–  ihr Herz gehört, wie sollte es anders sein, dem Kosaken Nummer 10. Die Handlung verlagert sich dann auf den Hof den Bauern Dobronitz am Mückenfluss. Seine Tochter Mila liebt den verfolgten Zobeljäger Alexius Borodin. Außerdem ist sie der „Engel der Verbannten“ – sie und ihre Familie helfen entlaufenen Verbannten, das Land sicher zu verlassen. Ihr Versteck ist höchst pittoresk: Ein hochgelegener Talkessel, der nur über eine ebenfalls hochgelegene Höhle erreichbar ist, deren Einstieg der starke Ast einer riesigen Pechtanne bildet – der Versteckspiele sind kein Ende. Es stellt sich heraus, dass Alexius und seine Familie urspürnglich Barth heißen – Verwandte von Sam also. Eine weitere Familienzusammenführung. Auch Karpala, als von einem Hochadligen geliebte Frau, kann natürlich nicht die Tochter von tungusischen Menschen sein, seien es auch Fürsten … Bevor die große Gruppe von Verbannten, die sich aktuell unter Milas Schutz befinden, sich als Soldaten verkleidet auf den Weg in die Freiheit machen können, gibt es noch einige Enthüllungen, Kämpfe und Späße. Obwohl sich einiges aufklärt – Florin und Ibrahim sind immer noch nicht gefasst.

Der endgültige Showdown findet dann in Deutschland statt; Oskar Steinbach entpuppt sich als Prinz, Florin richtet Ibrahim und dann sich selbst und jeder Topf hat seinen Deckel, sprich jedes Mädchen den passenden Mann und die Familien sind glücklich vereint. Warum sie so lange leiden mussten und warum Oskar sich da so eingesetzt hat – das wird nicht erläutert.

Nebenhandlungen? Reichlich

Besonders hübsch – wenn auch heutzutage politisch höchst inkorrekt – sind die Spielchen, die Sam und seine Freunde mit dem vorgeblichen Bezirkshauptmann, dessen Sohn und den zur Bewachung des Verbannten Nummer 10 abgestellten Soldaten veranstaltet. Dass der gute Sam auf einmal fließend russisch spricht, stört da kaum.

Die schöne Miranda in der Episode um die Todesmine in Amerika figuriert als weiblicher Teufel, bis endlich eine richtige Liebe sie auf den schon in früher Jugend verfehlten Weg der Tugend führt – Erziehung ist ja sooo wichtig, vermittelt Karl May hier.

Lord Eagle-nest will so gern ein Mädchen entführen - Rahel und Lea geben ihm scheinbar die Möglichkeit
Lord Eagle-nest will so gern ein Mädchen entführen – Rahel und Lea geben ihm scheinbar die Möglichkeit

Die beiden Prostituierten Rahel und Lea, die in Tunis Lord Eagle-nest anführen, bieten einen Einblick in die Machenschaften organisierter Kriminalität wie Prostitution, Hehlerei und Erpressung.

Ausgaben

Der Karl-May-Verlag hat die Geschichte in drei Bänden (61-63)  (hier war eine Korrektur nötig – Dank an Herrn Tausch für den Hinweis, 4.10.16, mittags 😉 ) herausgegeben – so habe ich sie als Jugendliche kennengelernt (und besonders die Sibirien-Geschichten geschätzt). Hinzu kommt noch Band 60 „Allah il Allah“, in dem einzelne Geschichten aus „Deutsche Herzen, deutsche Helden“ versammelt sind – allerdings mit anderen Helden … Oskar Steinbach habe ich erst später kennengelernt – er kommt in diesen Büchern nicht vor; seine Heldentatenteilen sich die anderen. (Eine hübsche Idee, im Grunde, um diese omnipotenten Helden Karl Mays zu vermeiden – aber eben nicht das Original). Auch in „Das Wunder von Miramar“ gibt es Elemente aus diesem großen Roman.

Mir liegt seit einigen Jahren eine Ausgabe des Verlages Neues Leben aus den 90er Jahren vor – sie umfasst sechs Bände. Da hatte ich den Text der 1901/02 erschienen Buchfassung  – hier kommt dann Oskar Steinbach vor, eine für mich überraschende neue Bekanntschaft (allerdings bin ich mir seit meinen Erfahrungen mit den Old-Surehand-Bänden aus demselben Verlag nicht sicher, inwieweit ich da den kompletten Text bekomme – aber mehr als die Bände aus dem Karl-May-Verlag auf alle Fälle).

Inzwischen gibt es auch die historisch-kritische Ausgabe – hier bekommen Sie auf alle Fälle den gesicherten Text von Karl May himself, ebenfalls sechs Bände, 20-25.

Und dann die Online-Versionen des vorletzten der Münchmeyer-Romane: Bei der Karl-May-Gesellschaft und im Gutenberg-Projekt.

Persönlicher Eindruck

So eine spannende Geschichte – und dann so ein mattes Ende: Das war mein erster Lektüreeindruck vor über 30 Jahren. Besonders der letzte Gedanke hat sich gehalten – es gibt so viele Andeutungen im gesamten Verlauf, die letztendlich alle ins Leere laufen: Was genau hat Florin und Ibrahim zu ihrem Rachefeldzug bewogen? Der Tod von Ibrahims Vater wird genannt, aber nicht erläutert, was Alban von Adlerhorst nun wirklich damit zu tun hat. Dann Oskar Steinbach, à la Prinz Oskar – an einigen Stellen wird eine Verwandtschaft zwischen den Adlerhorsts und ihm angedeutet, doch sein nun wirklich immenses Engagement wird nicht erläutert. Der Tod der beiden Hauptschurken dient als Entschuldigung, dass nun nichts mehr aufgeklärt werden kann. Insgesamt macht der Abschluss einen überhasteten Eindruck – eigentlich sind „Schienen“ für weitere Verwicklungen gelegt; deshalb ist der Schluss noch unbefriedigender als beim „Waldröschen“ oder anderen der Münchmeyer-Romane, wo ich den Eindruck hatte, Karl May habe einfach keine Lust, alle Fäden spannungsvoll aufzudröseln. Hier kappt er sie einfach. Trotzdem gehört das Gesamtwerk zu den spannenden Geschichten, die ich gerne wiederholt gelesen habe.

In der Stadtbibliothek Köln gibt es die Bände aus dem Karl-May-Verlag:

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

2 Comments

  • Maike

    4. Oktober 2016 at 10:03 Antworten

    Es münchmeyert wieder, wie schön! Ich habe früher auch die Ausgabe des Karl-May-Verlags gelesen und die Sibirien-Teile damals sehr gemocht (waren die Tungusen da nicht Burjaten? Irgendwie habe ich das so in Erinnerung). Spannend, hier zu erfahren, dass da doch gegenüber dem Original so einiges verändert worden ist. Und deine ganze Serie darüber macht mir nach wie vor großen Spaß, noch einmal vielen Dank dafür.

    • Heike Baller

      4. Oktober 2016 at 10:53 Antworten

      Ach ist es schön, so einen treuen Fan zu haben :-). Ja, das Wort Burjaten kommt auch vor – bei all‘ den verschiedenen Ausgaben schmeiß ich da anscheinend schon mal was durcheinander, sorry.
      Anfang november gibt’s die letzte Folge …

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